© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/08 08. Februar 2008

"So lustig wie möglich ..."
... doch mit leidenschaftlichem Anstand: Richard Wagners Schaffen jenseits der Opern und Musikdramen
Wiebke Dethlefs

Daß der Ruhm eines Komponisten auf einer einzigen Werkgattung fußt, ist in der Musikgeschichte eher selten. An erster Stelle denkt man hierbei an Chopin, der sich ausschließlich der Klaviermusik verschrieb. Doch auch die überragende Bedeutung Giuseppe Verdis und Richard Wagners ist einzig deren dramatischem Schaffen zu verdanken. Während es von Verdi so gut wie keine Schöpfung außerhalb der Gattung Oper gibt, komponierte Richard Wagner ein vom Umfang her nicht geringes Œuvre an Instrumentalstücken, Liedern, Chorwerken und Symphonien, in dem auch ein kleines Oratorium ("Das Liebesmahl der Apostel") erscheint.

Wagners 125. Todestag am 13. Februar ist nun Anlaß, sich mit dessen unbekannterer Seite zu beschäftigen. Der größte Teil dieser Werke ist vor der Komposition des "Lohengrin" entstanden, was sie zu bedeutenden Zeugnissen des kompositorischen Reifeprozesses des größten deutschen Opernkomponisten macht. Deshalb dürfen sie keineswegs als marginal abgetan werden, und insbesondere die wenigen Schöpfungen dieser Art aus der Spätzeit sind vollgültige Werke.

Zu den frühesten erhaltenen Werken zählen zwei Klaviersonaten aus dem Jahre 1831. Die erste in B-Dur zitiert in ihrem Schlußsatz ganz frech ein sächsisches Tanzlied, das heute noch bekannt ist und dem man später die wenig gehaltvollen Zeilen "Am 30. Mai ist der Weltuntergang, wir leben nimmer lang" unterlegt hat. Oft gaben politische Ereignisse für Richard Wagner den Anlaß zu Kompositionen. Im gleichen Jahr 1831 nahm ganz Europa Anteil am Freiheitskampf Polens gegen die zaristische Besatzung. Wagner schuf aus diesem Anlaß eine etwas lärmende Ouvertüre "Polonia", in der er die polnische Nationalhymne verarbeitet, und eine melodisch wie rhythmisch pikante Polonaise zu vier Händen.

Eine groß angelegte Symphonie in C-Dur komponierte Wagner 1832. In ihrem unwiderstehlichen Schwung verleugnet sie Wagners großes Vorbild Carl Maria von Weber nicht. Wagner schätzte sie so sehr, daß er sie Weihnachten 1882 in privatem Kreis im Teatro Fenice in Venedig wiederaufführte, nachdem die Partitur seit der Erstaufführung verschollen war und nur durch Zufall wiederentdeckt wurde.

Um musikalische Kontakte nach England herstellen zu können, schrieb Wagner 1838 für die Londoner Philharmonic Society eine Ouvertüre "Rule Britannia", welche allerdings zu Recht wegen ihrer Banalität abgelehnt wurde.

Ein reizendes kleines Stück ist der Walzer "Züricher Vielliebchen", komponiert 1854 für die Schwester von Mathilde Wesendonck. Die Vortragsbezeichnung "So lustig wie möglich, doch mit leidenschaftlichem Anstand" wie auch ein Teil der Widmung "... von Richard, dem Walzermacher" ist hierbei einzigartig. Neben dem Walzer der Lehrbuben auf der Festwiese im dritten Akt der "Meistersinger" ist dies in Wagners gesamten Werk die einzige Tanzkomposition im Dreiertakt.

Als Wagners bedeutendste Schöpfung für Klavier gilt die "Sonate für das Album von Frau M(athilde) W(esendonck)". Sie ist einsätzig, zeichnet sich durch vier Seitenthemen und eine reiche Chromatik aus. Die Nähe zum "Tristan" ist unüberhörbar.

Unikale Schöpfungen sind Wagners drei Märsche. 1864 komponierte er für den Geburtstag König Ludwigs II., der im März den Thron bestiegen hatte, einen knappen, teils recht lyrischen Huldigungsmarsch für Blasinstrumente, den er später für großes Orchester setzte. Wagner wünschte sich dabei, daß sein "Stück zu einer Nationalmusik der neuen bayerischen Zeit erhoben werden sollte". Formal interessant ist der Marsch dadurch, daß er aus einem einzigen fortlaufenden Satz besteht, keine Wiederholungen und kein Trio besitzt.

Die patriotische Begeisterung der Reichsgründung 1871 erfaßte auch die Tonkünstler. Brahms ließ sich zu seinem eher uninspirierten "Triumphlied" anregen, Wagner verfaßte seinen "Kaisermarsch". Für die geplante Krönung in Versailles bestellte der Verlag Peters bei Wagner im Herbst 1870 einen "Krönungsmarsch", doch plante Wagner zunächst die (offizielle) Musik für einen Dankgottesdienst aus Anlaß der Heimkehr der Soldaten zu schreiben, was aber seitens des Hofes abgelehnt wurde. So gestaltete er auf Wunsch des Verlags einen Marsch, zu dem fakultativ eine von ihm selbst gedichtete Hymne gesungen werden konnte. Die im übrigen literarisch höchst schwachen Verse, denen man anhört, daß sie aus einem heute nicht mehr nachvollziehbaren Chauvinismus heraus entstanden sind, sollten bei den Aufführungen auf Zettel geschrieben und unter die Zuhörer verteilt werden, wodurch die Komposition erst den wirklichen Charakter eines "Volkschores" erhalten sollte.

Das triumphale Hauptthema, zu dem am Schluß des Marsches jene Worte erklingen sollten, ist gewiß einer von Wagners markantesten Gedanken. Reichlich Gebrauch macht er von Martin Luthers Choral "Eine feste Burg ist unser Gott", womit der Komponist den Protestantismus der Hohenzollern als musikalisches Sinnbild in die brausenden Triumphklänge einführt. Uraufgeführt wurde das Stück am 14. April 1871 im Berliner Schauspielhaus, am 5. Mai wohnte Kaiser Wilhelm I. einer weiteren Aufführung bei, und zur Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses am 22. Mai 1872 wurden die Feierlichkeiten gerade mit dem "Kaisermarsch" eröffnet.

Wagners Ruhm (neben Verdi) als bedeutendster Komponist seiner Epoche drang in dieser Zeit bis nach Amerika. Aus Anlaß der bevorstehenden Feiern zum hundertjährigen Bestehen der USA wandte sich das Festkomitee aus Philadelphia im Dezember 1875 an Wagner mit der Bitte um Komposition eines Festmarsches. Wagner nahm nur sehr widerstrebend an, da er mit den Vorbereitung zur Eröffnung des Festspielhauses vollauf beschäftigt war, und verlangte dafür die damals horrende Summe von 5.000 Dollar.

Die Komposition ging ihm nur zäh von der Hand, was man dem Marsch durchaus anmerkt. Cosima notierte am 14. Februar 1876 in ihrem Tagebuch: "R. klagt darüber, daß er sich bei dieser Komposition gar nichts vorstellen können außer den 5.000 Dollars, welche er gefordert und welche er vielleicht gar nicht bekäme." Dennoch: Der Marsch gefiel. Bei der Eröffnung der Weltausstellung in Philadelphia wurde er am 10. Mai 1876 erfolgreich uraufgeführt und erklang später am 2. Juli 1876 auch während der ersten Festspiele. Wagner gab ihm auf der Titelseite das Motto "Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß" mit auf den Weg.

Nur eine kleine Auswahl aus Wagners "Nebenwerken" ist hier vorgestellt - viel gibt es noch dem Konzertpublikum zu entdecken. In Hans-Joachim Bauers "Musikführer Richard Wagner" (Reclam, 1992) sind Wagners sämtliche musikalische Schöpfungen verständlich dargestellt.

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