© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/08 15. Februar 2008

Hilflose Kanalisation einer Jugendbewegung
Vor dreißig Jahren versuchte die DDR-Führung mit der Singebewegung Einfl uß auf die sich verbreitende westliche Rock- und Popkultur zu nehmen
Manfred Müller

Am 16. Februar 1978 faßte der Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (FDJ) einen Beschluß, der ein sprechendes Zeugnis für Selbstbelobigung und Realitätsblindheit war.

Über die 1969 ins Leben gerufene FDJ-Singebewegung hieß es da: "Die FDJ-Singeklubs haben in den letzten Jahren ein bedeutendes Liedgut wiederentdeckt und neu geschaffen. Dieses Liedgut bereichert unser Leben. Es ist uns Werkzeug beim sozialistischen Aufbau und Waffe im antiimperialistischen Kampf, Brücke der internationalen Solidarität und Spiegel unserer sozialistischen Menschlichkeit." Mit der Singebewegung der DDR-Staatsjugend versuchten die DDR-Kommunisten alles zu kanalisieren, was damals an internationaler Folklore, Protestsongs und Rockmusik trotz aller Abschottungsbemühungen in die DDR einströmte.

Seit den ersten Nachkriegsjahren befanden sich die SBZ/DDR-Oberen in einem ständigen Abwehrkampf gegen den kulturellen Amerikanismus und die westliche Kulturindustrie, die in der Bundesrepublik immer stärker den Lebensstil bestimmten und auch auf Mitteldeutschland einwirkten.

Man kämpfte gegen Ringelsocken, Jeans ("Nietenhosen"), Boogie Woogie, Rockmusik usw. Mit­unter schwankte man bei der Beurteilung, mal ab­qualifizierend als "imperialistisch dekadente Ausbeutermusik", mal akzeptierend als "musikalisch verdichtete Klage und Anklage des amerikanischen Negerproletariats".

Ähnlich bei der Rockmusik: Im April 1965 empfand der FDJ-Zentralrat sie als "progressive Erscheinung", passend zum Lebensgefühl der Jugend im Kontext der weltweiten technischen Revolution. Im Dezember 1965 dagegen hob Erich Honecker die "dekadenten Züge" hervor: eine "hektische, aufpeitschende Musik, die die moralische Zersetzung der Jugend begünstigt".

Die Singeklubs und Singezentren der FDJ (in kurzer Zeit gab es derer etwa 4.000) standen also unter dem ständigen Druck der wechselnden Stile und Wellen westlicher Pop- und Rockmusik. Unproblematisch war die Pflege des Volkslieds und des proletarischen Kampflieds sowie das Schaffen neuer Lieder aus Geist und Stil dieser Traditionsbestände. Schwieriger war es, das Liedgut der westlichen Ostermarsch- und Anti-Atom-Bewegung zu filtern und einzubauen. Wie aber sollte man mit den aus dem Boden schießenden Rockbands umgehen? Verbote waren nur zeitweilig wirksam. Die von Honecker gewünschte "gepflegte Beat-Musik" sah man bei Gruppen verwirklicht, die auf das Abspielen englischsprachiger Hits verzichteten und ein eigenes Repertoire mit deutschen Texten boten. Ihre Fans sollten keine "stinkenden, ungepflegten Haare" haben und nicht durch "affenartiges Benehmen beim Tanz" auffallen.

Maßnahmen konnten den Zerfall nicht mehr stoppen

Mit der FDJ-Singebewegung war in den 1980er Jahren, als sich der Niedergang der DDR abzuzeichnen begann, nur noch wenig Staat zu machen. Die FDJ-Führung suchte nun mit Billigung des Staatsratsvorsitzenden die Rockbegeisterung vieler junger Menschen zu einem Prestigegewinn für die DDR zu nutzen. Für Massenkonzerte wurde westliche Rockstar-Prominenz verpflichtet - ohne Rücksicht auf die Kosten. Aber letztlich konnte man mit krachendem Sound und rauhen Rhythmen den erosionsartigen Zerfall der DDR nicht aufhalten.

Foto: Ost-Rocker City, NO55, Karat, Puhdys: "Gepflegte Beat-Musik"

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