© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

Wissen schafft Wohlstand
Mehr Freiheit, mehr Wettbewerb: Der Forschungsstandort Deutschland befi ndet sich im Aufwind
Michael Manns

Trotz aller Unkenrufe - erneut im Zuge  der Debatte um die Liberalisierung der Stammzellenforschung - ist der Wissenschaftsstandort Deutschland intakt. Nicht zuletzt die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften kam an Deutschland nicht vorbei: Das Komitee verlieh 2007 gleich zwei Nobelpreise an Naturwissenschaftler aus unserem Land - das gab es zuletzt 1973. Im Fach Chemie ging die begehrte Auszeichnung an den Katalysator-Forscher Gerhard Ertl, den Nobelpreis für Physik teilte sich Peter Grünberg vom Forschungszentrum Jülich mit dem Franzosen Albert Fert von der Université Paris-Sud in Orsay. Bundesforschungsministerin Annette Schavan  CDU) zeigte sich stolz: "Die Nobelpreise stärken die Aufbruchstimmung in der deutschen Wissenschaft, die auch international zu spüren ist."

Jubel und Euphorie herrschten im Land. Und viele stellten sich die Frage: Knüpft Deutschland an die großen Zeiten an, wo deutsche Wissenschaft Weltgeltung hatte? An die Zeiten der Wissenschaftsheroen wie Robert Koch, Max Planck, Albert Einstein, Werner Heisenberg und Otto Hahn? An die Zeiten, als die Wissenschaftssprache Deutsch war? Forschung und Wissenschaft haben in keinem Land der Erde so gelitten. Wäre Wissenschaft ein Organismus, er wäre durch die vielen Wunden und Amputationen schlichtweg verblutet, die der braune Sozialismus mit der Vertreibung jüdischer Wissenschaftler nach 1933 und der rote Sozialismus mit der Knechtung der Literatur- und der Gängelung der Naturwissenschaftler ihr beibrachten. Die damaligen Machthaber hatten noch vor den Bahnen eines Elektrons Angst, es könnte zu kapitalistisch sein. Nicht zuletzt der rote Sozialismus der 68er im Westen, der die Universitäten verwüstete ("Unter den Talaren Muff von tausend Jahren"), eine neue Wissenschaft, eine neue Gesellschaft und einen neuen Menschen forderte, beschädigte die Wissenschaft, indem diese ideologisiert und Leistung diffamiert wurde. Das Ergebnis:  seitdem Bürokratisierung und Reformitis ohne Ende und strahlendes Mittelmaß.

Und plötzlich diese Aufbruchstimmung, dieser neue Geist. Pisa-Schock, jahrelange Klagen über schlechte Unis waren vergessen. Jahrelange Kritik am Forschungsstandort Deutschland (zuviel Bürokratie, zu wenige Mittel, zu wenig Anwendung in der Wirtschaft) ebenso. Zwei Drittel der heimischen Firmen wollen ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen weiterhin im Inland konzentrieren, weil der Forschungsstandort so attraktiv ist, so der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft Ende Dezember 2007. Attraktiv wird dieser aber auch für ausländische Konzerne. Jedes vierte internationale Unternehmen mit deutschem Standort läßt inzwischen hier forschen (Mitte der 1990er war dies nur bei jedem sechsten der Fall).

Ja, es hat sich herumgesprochen: Ein frischer Wind weht durch Labors und Hörsäle. Die Hochschulen zeigen Mut zu umfassenden Reformen. Professoren werden stärker nach Leistung bezahlt, Studiengänge internationalisiert. Hinzu kommt der Wettbewerb: die Exzellenzinitiative. Mit ihr fördern Bund und Länder die Spitzenforschung. Bis 2011 sollen insgesamt 1,9 Milliarden Euro ausgegeben werden. Und so ist der Ansturm auf die Hochschulen gewaltig. Die Zahl der ausländischen Studenten hat mit über 250.000 Rekordhöhe erreicht. Deutschland ist mittlerweile Gastland Nummer drei hinter Großbritannien und den USA. Was dabei oft vergessen wird: Die Gast-Studiosi bringen auch Kaufkraft ins Land - 1,2 Milliarden Euro. Da ist der "Pakt für Forschung und Innovation". Er sichert den großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen bis 2010 einen jährlichen Anstieg ihrer Finanzen von mindestens drei Prozent zu. Insgesamt stellt die Bundesregierung bis 2009 etwa 15 Milliarden Euro für Spitzentechnologien bereit.

Deutschland mit Ideenreichtum und Kreativität voranbringen: Das will die 2006 beschlossene Hightech-Strategie. Ein Signal für mehr Innovationskraft, engere Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft, darauf setzt diese Initiative. Potentiale in 17 Zukunftsbranchen wie der Energie-, der Bio- und Nanotechnologie oder der Medizintechnik sollen besser genutzt und so auch schneller neue Produkte auf den Markt gebracht werden. Arend Oetker, Präsident des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, dazu: "Jetzt schon bin ich gespannt mitzuerleben, welche innovativen Produkte in drei bis fünf Jahren aus diesem Prozeß hervorgegangen sein werden. Vielleicht Bildschirme zum Einrollen oder Pflanzen, die Insulin produzieren?" Doch das Bild ist ambivalent: Spitzenforschung gelte nur für bestimmte Branchen, etwa die Automobilindustrie oder den Maschinenbau. "In der Spitzentechnologie, also etwa der Halbleitertechnik, hinken wir ziemlich hinterher."

Die Wissenschaft hat einen langen Siegeszug hinter sich. Vor 2.500 Jahren begann in Griechenland ihre Abnabelung vom mythischen Denken. Ihr Weg führte sie über die Anerkennung des Experiments in der Renaissance bis zu ihrem fulminanten Sturmlauf in den letzten hundert Jahren und zeigte spätestens mit der Kernspaltung ihr janusköpfiges Wesen. Immer massiver wurde die Frage gestellt: Ist alles erlaubt, was machbar ist? Aktuell werden die Dispute in den brisanten Forschungsgebieten der Bio- und Gentechnologie  teilweise mit Verbissenheit geführt.

Die Freiheit der Wissenschaft ist ein hohes Gut. Wissenschaft und Forschung müssen Methoden und Projekte autonom bestimmen. Doch aus der Methodologie der Wissenschaft selbst lassen sich keine ethischen Werte ableiten. Max Weber sagt es in seinem 1919 publizierten Essay "Wissenschaft als Beruf" so: "Alle Naturwissenschaften geben uns Antwort auf die Frage: Was sollen wir tun, wenn wir das Leben technisch beherrschen wollen? Ob wir es aber technisch beherrschen sollen und wollen, und das letztlich eigentlich Sinn hat:  - das lassen sie ganz dahingestell ..." Zur Physik gehört dann doch auch Metaphysik.

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