© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/08 22. Februar 2008
Farbbeutel und Pflastersteine Der Schriftzug auf der Anzeige des Filmtheaters "Babylon" in der Rosa-Luxemburg-Straße in Berlin-Mitte kündet noch von den 58. Berliner Filmfestspielen. Vor einer Woche war statt dessen - als vermeintlicher Filmtitel des Programmkinos - die Zeile "Kein Naziladen in unserer Straße" zu lesen gewesen. Jetzt ist vor dem Eingang ein roter Teppich ausgerollt. Auf diesen zu schreitet ein amerikanisches Paar mit seinen Koffern im Schlepptau, akkreditierte Berlinale-Besucher. Die Frau zeigt auf das Geschäft auf der anderen Straßenseite und ruft ihrem Begleiter zu: "Look over there, that's the Nazi shop!" Auf dem Schaufenster des Ladens steht in großen Lettern ein Aufruf: "Kauft nicht bei Nazis" - in Anlehnung an den von den Nationalsozialisten 1933 organisierten Boykott gegen jüdische Geschäfte. Angesprochen fühlen sollen sich diesmal nicht nur Deutsche. Die Passanten leisten offensichtlich Folge - niemand läßt sich in dem Geschäft blicken. Ein einheimisches Paar läuft jetzt vorbei, auch sie sind sich sicher: "Ach, guck hier, das muß der Nazi-Laden sein." Schon sind sie weiter. Das betroffene Geschäft heißt "Belleville", und anders als 1933 haben die Geschäftsinhaber die Losung gleich selber von innen auf ihr Schaufenster aufgetragen. In Wirklichkeit jedoch soll es eine Warnung sein vor dem schräg gegenüberliegenden Ladengeschäft Toensberg, das die Modemarke Thor Steinar vertreibt (39/05), die in Verruf geraten ist, weil ihr (ehemaliges) Logo an die nationalsozialistische "Doppel-Sig-Rune" erinnerte. Das machte sie anziehend für junge Rechtsradikale. Seit Anfang Februar residiert der Laden in der Rosa-Luxemburg-Straße 18. Der bisherige Mietvertrag im unweit entfernten Berlin-Carré war von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte aufgrund politischen Drucks nicht verlängert worden. Ausschlaggebend hierfür waren vor allem Antifa-Kreise. Diese sind es auch, die diesmal, nicht zuletzt über das linksextreme Internetportal indymedia, eine öffentliche Kampagne entfacht haben. In dessen Folge konnten die Betreiber die Eröffnung ihres neuen Ladengeschäfts nur unter massivem Polizeischutz feiern. Die Antifa demonstrierte derweil vor dem von ihr verhaßten "Nazi-Laden", daß sie die Methoden des Straßenterrors durchaus zu zelebrieren vermag. So wurde wenige Tage später das Geschäft nachts mit Farbbeuteln und Flaschen beworfen, eine Scheibe ging dabei zu Bruch. In der Nacht zum Montag wurden die Scheiben erneut eingeschlagen. Die Berichterstattung vieler Hauptstadtmedien begleitet dies mehr oder weniger wohlwollend, so untertitelt die Berliner Zeitung das Bild vom beschmierten Schaufenster in - wohl gedankenlosem - Zynismus als "farbige(n) Protest". Überdies zitiert die Zeitung allen Ernstes die Antifa-These, der zufolge die Hausnummer 18 unwiderleglicher Beweis der Nazigesinnung sei, stehe diese doch als Anfangsbuchstaben für "A(dolf) H(itler)". Auf die Idee, daß gerade keine andere Ladenfläche in der Nähe anzumieten war, kommt bei solch "zivilgesellschaftlicher" Hyperaktivität auch die selbsternannte "Qualitätszeitung" nicht. Indessen hat der massive Protest, neben der Antifa die - Zitat Toensberg-Kundin - in "Blockwartmentalität" agierende Anwohnerschaft sowie Politik und Medien, dazu geführt, daß dem Laden noch in der Woche seiner Eröffnung gekündigt wurde. Hervorgetan hat sich dabei neben den benachbarten Ladenbetreibern die nur wenige Meter entfernte Rosa-Luxemburg-Stiftung, die in der Parteizentrale der Linkspartei firmiert, dem Karl-Liebknecht-Haus, wo auch die Kommunistische Plattform ihr Zuhause hat. Maßgeblich aber war wohl eher Mittes Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD). Laut eigener Aussage habe er "den Vermieter persönlich angerufen und gebeten, den Mietvertrag zu kündigen". Da solch ein Laden "in Mitte nichts zu suchen hat", bot er der in Hamburg ansässigen Impala Immobilien GmbH & Co.KG bei juristischen Fragen Hilfe an. Diese wird die Impala wohl dringend nötig haben. So verteidigt ein Mitarbeiter der Firma gegenüber der JUNGEN FREIHEIT die Kündigung vom 5. Februar mit dem Verweis, daß die Betreiber des Toensberg-Ladens ihre wahre Absicht verschleiert hätten. Und setzt hinzu: "Wir koperieren auf jeden Fall mit der Behörde." Schleierhaft bleibt auf Nachfrage, welche Institution er damit meint. Auch scheint es, als sei seine Gesellschaft in hiesigem Recht nur unzureichend bewandert, etwa wenn er darauf vertraut, dem Geschäft - oder der Marke Thor Steinar? - die "Gewerbegenehmigung entziehen" zu können. Noch zu Beginn der Kampagne hatte die Immobiliengesellschaft indes erklärt, den neuen Mieter nicht "rauszuschmeißen", solange dieser seine Miete bezahlt. Im Hundertwasserhaus in Magdeburg, der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts, sieht dies inzwischen anders aus. Dort wurde vergangene Woche dem Ladengeschäft Narvik, das ebenfalls die Marke Thor Steinar verkauft, "der Prozeß gemacht", sprich: Das Magdeburger Landgericht gab der Räumungsklage des Vermieters, des zur Katholischen Kirche gehörenden Siedlungswerks St. Gertrud, statt. Der Innenminister des Landes, Holger Hövelmann (SPD), einst Politoffiziersanwärter der NVA - der Herbst 1989 beendete diese DDR-Karriere -, feiert dieses Urteil. Es sei Zeichen dafür, "daß sich bürgerliches Engagement gegen Rechts lohnt". Auch in der sachsen-anhaltinischen Stadt Halberstadt wurde - von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft HaWoGe - einem Geschäft gekündigt, das Thor-Steinar-Bekleidung verkauft. Auch hier folgte die Entscheidung der Politik, war jene doch ganz im Sinne des Oberbürgermeisters Andreas Henke (Linkspartei). Daß Halberstadt heute die größte Stadt Deutschlands ist, die von einem Postkommunisten der einstigen SED regiert wird, spielt dabei kaum eine Rolle. Ebensowenig wie die Feststellung des Theologen Richard Schröder (SPD), der in der "Textilzensur" gegen die Marke Thor Steinar nicht die "selbstbewußte und gelassene Selbstverteidigung der Demokratie" erblicken kann, sondern vielmehr "eine Mischung aus Gespensterfurcht und inquisitorischer Zensorenmentalität" erkennt. Foto: Der Thor-Steinar-Laden in Berlin-Mitte: Wohlwollende Berichterstattung in den Medien |