© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

Hessen schaut auf Hamburg
Bürgerschaftswahl: Urnengang an der Elbe sorgt für Spannung / Schwarz-Grün in der Diskussion / Rechte Parteien mit wenig Chancen
Josef Hammerling

Mehr Unklarheit war selten. Der Ausgang der am Sonntag stattfindenden Bürgerschaftswahl in Hamburg ist auch Tage vor dem Urnengang ungewiß. Nicht nur, daß die verschiedenen Wahlforschungsinstitute zu gänzlich unterschiedlichen Prognosen kommen, wird das Geschehen derzeit durch viele unbekannte Faktoren geprägt. Besonders der Skandal um Steuerhinterziehungen könnte nach Ansicht von Wahlforschern alle Prognosen über den Haufen werfen. So versucht die SPD dann auch mit aller Kraft, hieraus Kapital zu schlagen.

Insgesamt bewerben sich 353 Kandidaten aus 14 Parteien für die 121 Sitze in der Hamburger Bürgerschaft. Die jüngsten Prognosen sehen derzeit noch ähnlich wie in Hessen ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Volksparteien voraus, das zu einem Patt zwischen den Lagern führen könnte. Infratest dimap sieht die CDU mit 39 Prozent in Front, die SPD kommt auf 35 Prozent, Grüne und Linke jeweils auf neun Prozent und FDP auf fünf Prozent. Dagegen kommt Emnid im Auftrag des Focus zu folgendem Ergebnis: CDU 42 Prozent, SPD 32 Prozent, Grüne 11 Prozent, Linkspartei 7 Prozent und FDP 5 Prozent. Rund 38 Prozent der Wähler sollen noch unentschlossen sein, wem sie am Sonntag ihre Stimme geben. Bei der Bürgerschaftswahl 2004 hatte die CDU mit 47,2 Prozent die Absolute Mehrheit errungen. Die SPD kam auf 30,5 Prozent, die Grünen erreichten 12,3 Prozent. Viertstärkste Partei war Pro DM/Schill mit 3,1 Prozent, gefolgt von der FDP mit 2,8 Prozent.

Der Wahlausgang dürfte auch Auswirkungen auf die Bundespolitik haben. Denn die Entscheidung in der zweitgrößten Stadt Deutschlands hat schon seit vielen Jahrzehnten eine wichtige Signalwirkung für Stimmungstrends im Bund. In diesem Jahr könnte der Wahlausgang in Hamburg zudem die  Regierungsbildung in Hessen beeinflussen: In Wiesbaden traut sich bis zum Sonntag keine Partei aus der Deckung. Die Suche nach einem Koalitionspartner findet mit Blick auf die Hamburg-Wahl derzeit noch unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Erst am Montag dürfte Bewegung in den Machtpoker kommen. Und nicht zu vergessen: Bei deutlichen Verlusten der CDU wäre auch eine mögliche Wiederwahl von Bundespräsident Horst Köhler gefährdet. Derzeit beträgt der schwarzgelbe Vorsprung in der Bundesversammlung noch ganze drei Stimmen.

Mit großer Spannung wurde dann auch auf das Fernsehduell zwischen Amtsinhaber Ole von Beust von der CDU und seinem sozialdemokratischen Herausforderer Michael Naumann geschaut. Und obwohl der Christdemokrat wie gewohnt blaß blieb, profitierte er von einem kapitalen Schnitzer Naumanns. Bei seinem Schlußwort, das er der Schulpolitik (einem der Hauptthemen im Hamburger Wahlkampf) widmete, verhaspelte er sich derart, daß am Ende nur noch ein peinliches Stottern zu hören war, ohne jeglichen Sinn und Verstand - mittlerweile kursiert die Szene bereits im Internet. Erst die drei letzten Sätze brachte der SPD-Spitzenkandidat wieder einigermaßen vernünftig hervor. Ob dieser Ausrutscher aber reichen wird, dem angeschlagenen von Beust wieder Auftrieb zu verleihen, bezweifeln selbst ihm wohlgesonnene Wahlanalysten. Allerdings liegt der Amtsinhaber bei der Direktwahlfrage mit 48 Prozent deutlich vor Naumann, der lediglich auf 35 Prozent kommt.

Einen Richtungsstreit gibt es an der Alster bei den Grünen. So ist es ein offenes Geheimnis, daß viele Mitglieder durchaus mit einem schwarz-grünen Bündnis liebäugeln, das Ole von Beust mehrfach ins Spiel brachte - zumal Rot-Grün derzeit eher unwahrscheinlich ist. Andere sehen hierin aber einen Grund, warum die Grünen von den Spitzenumfrageergebnissen von 15 Prozent inzwischen wieder deutlich abgefallen sind. Sollte Naumann aber Wort halten und mit der Linkspartei nicht paktieren, könnte es in Hamburg zur ersten Jamaika-Koalition (also Schwarz-Grün-Gelb) kommen, da eine große Koalition für die Hansestadt ausgeschlossen scheint.

Die drei Parteien rechts von der Union, DVU, Deutsche Zentrumspartei und Rechte Mitte Heimat Hamburg (JF 8/07), haben nach Ansicht der  Wahlforscher wenig Chancen, in die Bürgerschaft einzuziehen. Die meisten Stimmen werden für die DVU um ihren Spitzenkandidaten Matthias Faust erwartet, doch auch hier rechnen die Analysten maximal mit einer Eins vor dem Komma. Die Partei, die absprache-gemäß anstelle der NPD antritt, warnt vor dem Abbau des Sozialstaates und der Verschwendung von Steuergeldern. Auch die klassischen Themen Ausländer und Kriminalität sollen die Wähler überzeugen.

Die Zeiten der Wahlerfolge für rechtsgerichtete Parteien - wie etwa die 19,4 Prozent der Schill-Partei 2001 - scheinen (vorerst) vorbei. Doch die Hamburger Wähler haben in der Vergangenheit oft genug bewiesen, daß sie für Überraschungen gut sind - und sich nicht immer an Umfragen halten.

Foto: Naumann (l.) und von Beust (r.) im Studio: Peinliches Stottern

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen