© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

Ungewisse Gewissensentscheidung
Forschungspolitik: Bundestag debattiert über Stammzellengesetz / Parteien heben Fraktionszwang auf / Entscheidung Anfang März
Michael Weis

Sie war und ist stets emotional, die deutsche Debatte über die Forschung an embryonalen Stammzellen. Und so verwundert es nicht, daß es auch bei der in der vergangenen Woche geführten Bundestagsdebatte zum Thema heftige Diskussionen gab.

Sowohl zwischen- als auch innerparteilich gingen die Meinungen weit auseinander und folgten dabei nicht den gängigen Einordnungen in links oder rechts, in liberal, konservativ oder sozialistisch. Die Folge: Bei der Abstimmung soll es keinen Fraktionszwang geben. So sollen die Parlamentarier für sich alleine und nach dem eigenen Gewissen entscheiden, welchem der vier Gesetzesentwürfe sie aus persönlicher Überzeugung zustimmen können.

Der erste Antrag, für den sich bisher 185 Abgeordnete - unter anderem Forschungsministerin Annette Schavan  (CDU) - öffentlich aussprechen, sieht im Kern eine Neuauflage des bislang geltenden Rechts vor. Genau wie im gültigen Gesetz von 2002 verbietet der Antrag die Forschung mit embryonalen Stammzellen. Ausnahmegenehmigungen sollen nur in besonderen Fällen erteilt werden dürfen. Und auch dann müssen die Stammzellen außerhalb der Bundesrepublik vor einem festgesetzten Stichtag gewonnen worden sein. Dieser Stichtag (bisher der 1. Januar 2002) soll zukünftig der 1. Mai 2007 sein, da sich ältere Stammzellen nur noch bedingt für die Forschung eignen.

Durch den Stichtag soll sichergestellt werden, daß Stammzellen nicht speziell für die Verwendung von deutschen Forschern gewonnen werden. Schließlich habe man, so die Antragsteller, eine moralische Pflicht, die Forschung zu kontrollieren. Ein Leben dürfe nicht gegen ein anderes aufgewogen werden, wie es geschehen könnte, wenn Embryonen speziell für die Forschung "gezüchtet" würden. Darüber hinaus seien Forschungen an menschlichen Stammzellen stets genau unter ethisch-moralischen Maßstäben zu prüfen.

Eine derartige Prüfung sei nicht genug, heißt es in dem zweiten Antrag. Vielmehr müsse die Forschung mit embryonalen Stammzellen ganz untersagt werden, so die 54 Unterstützer des Entwurfs. Ausnahmen seien scheinheilig, da die Tötung der Embryonen im Ausland nichts an der Tatsache der moralischen Verwerflichkeit ändere.

Leben beginne schließlich mit der befruchteten Eizelle. Darum sei ein aus wenigen Zellen bestehender Embryo genauso zu schützen wie jeder bereits geborene Mensch.

Als "empfindliche Verletzung der verfassungsrechtlich garantierten Forschungsfreiheit" sehen hingegen die 94 Unterstützer des dritten Antrags die bisherigen Regelungen. Darum sprechen sich beispielsweise sowohl FDP-Chef Guido Westerwelle als auch der Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi, für eine Erlaubnis zur freien Forschung aus. Ihre Begründung: Die deutsche Forschung werde durch die geltenden Restriktionen vom Ausland abgeschnitten und gerate zwangsläufig ins Hintertreffen. Wissenschaftler würden dadurch zur Abwanderung gezwungen, und der Standort Deutschland leide erheblich. Ferner hätten die Einschränkungen hierzulande keine Auswirkungen darauf, daß mit Stammzellen von Embryonen geforscht werde, um das Leiden vieler Kranker zu mindern. Das bisherige Gesetz drücke eine Doppelmoral und Realitätsferne, ja teils sogar Forschungsfeindlichkeit aus. Folglich sei ein Verbot moralisch nicht zu rechtfertigen, zumal manch eine Heilungschance für Schwerstkranke verspielt werde.

Der vierte Entwurf schließlich sieht vor, noch nicht einmal den Stichtag zu verändern. Statt dessen soll laut dem von Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) und 148 weiteren Parlamentariern unterstützten Antrag alles beim alten bleiben. Lediglich die Rechtssicherheit derjenigen deutschen Wissenschaftler, die auch im Ausland mit Stammzellen forschen, soll verbessert werden. Eine Verschiebung des Stichtages käme hingegen einer Aufweichung der gesetzlichen Vorschriften gleich und sei deshalb abzulehnen, so die Antragsbegründung. Sinnvoller sei statt dessen eine bessere Förderung der Forschung an erwachsenen Stammzellen.

Der Ausgang der Debatte ist unterdessen trotz alledem noch offen. Nach Detailberatungen in verschiedenen Ausschüssen und einer öffentlichen Experten-Anhörung Anfang März könnte jedoch noch vor Ostern eine Entscheidung fallen.

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