© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

Zu Tode geprügelt und zerstückelt
Jugendkriminalität: In Stuttgart stehen vier junge Erwachsene vor Gericht, die einen 19 Jahre alten Deutschen ermordet haben sollen
Michael Paulwitz

Das ist der Stoff, aus dem man Sensationsprozesse macht. Drei junge Männer und ein Mädchen locken am 21. August 2007 den 19 Jahre alten Gymnasiasten Yvan Schneider auf eine Streuobstwiese im schwäbischen Remstal, prügeln ihn zu Tode, zerstückeln seinen Körper über Tage hinweg in einer Stuttgarter Wohnung, um schließlich die Leichenteile in Blumenkübel einbetoniert im Neckar zu versenken.

Die Verhandlung, die vergangene Woche vor der dritten Jugendkammer des Stuttgarter Landgerichts begann, gibt der Forderung nach schärferen Strafen für junge Kriminelle neuen Auftrieb. Nicht zuletzt, weil wie in den Monaten davor vor dem Justizgebäude Mitschüler und Handballfreunde des Ermordeten weiter dafür werben. Sie tragen Sportkleidung und das Kampagnen-Trikot: "Gewalt hilft niemals weiter".

Im kleinkriminellen Milieu der wegen gemeinschaftlichen Mordes Angeklagten klingt das wie eine Botschaft vom anderen Planeten. Es dauerte lange, bis man in der veröffentlichten Meinung mehr über die jungen Mörder erfahren konnte als gerade mal das Alter. Ihre Herkunft zum Beispiel. Hauptangeklagter ist der 19jährige Türke Deniz E., Sproß einer türkisch-kroatischen Ehe; als seine Helfer stehen der 18 Jahre alte Rußlanddeutsche Roman K. und der 23jährige Polen-Aussiedler Kajetan M. vor Gericht; schließlich eine 17jährige Hauptschülerin, deren Eltern aus Eritrea stammen.

Das als geistig leicht minderbemittelt dargestellte Mädchen wurde von dem Hauptangeklagten völlig dominiert. Deniz E. hatte zwar noch nie eine feste Arbeit, fuhr aber ein flottes Mercedes-Sportcoupé. Im von Drogendelikten, Gelegenheitsdiebstahl und Körperverletzung geprägten Milieu seiner Kumpane, die sich selbst als "völlig normal" empfinden, trug ihm das zweifellos "Respekt" ein. Gegenüber seiner minderjährigen Freundin gebärdet sich der junge Türke als maßlos eifersüchtiger Macho, fordert in seiner Raserei eine Liste all ihrer Ex-Liebhaber. Wahllos schreibt das verängstigte Mädchen sieben Namen von flüchtigen Bekannten auf, als ersten den von Yvan Schneider aus der Nachbarschaft. Das ist sein Todesurteil.

Es sind zwei Welten, die brutal zusammenprallen: Oberschichts- und Unterschichtseinwanderer, integriert und asozial. Yvan, der beliebte, musisch und sportlich begabte Schüler eines deutsch-französischen Gymnasiums, der mit seinen aus dem Elsaß stammenden Eltern in der ländlichen Idylle von Kernen im Remstal lebt, hat mit der Lebensrealität seiner Mörder nichts zu tun.

Yvan Schneiders Freunde und Bekannte wollen sich mit diesem grausamen Einbruch der Gewalt in ihre Welt nicht abfinden. Sie pflanzen Erinnerungsbäume, organisieren eine Gedenkveranstaltung, feiern seinen zwanzigsten Geburtstag am Ort der Bluttat. Wer den in ganz Stuttgart zu findenden Klebezetteln mit Botschaften wie "Nymals myt Gewalt" und www.yvanschneider.de folgt, findet eine gutorganisierte Kampagnenseite.

"Der Gedanke, daß die Eltern des so grausam Getöteten bereits nach wenigen Jahren den Mördern ihres Sohnes auf der Straße begegnen müßten, wäre für uns und für jeden Mitbürger mit normal ausgeprägtem Rechtsempfinden unerträglich", appelliert die "Initiative Yvan Schneider", die von Sportskameraden aus dem Handballverein des Ermordeten, Vertretern des von ihm besuchten Wagenburg-Gymnasiums und des CVJM Fellbach organisiert und von dessen Eltern unterstützt wird.

Die Initiatoren wollen erreichen, daß "ein gerechtes und der menschenverachtenden Tat angemessenes Urteil" gesprochen wird. Und zwar nach Erwachsenenstrafrecht, das bei Mord lebenslänglich als Höchststrafe vorsieht, während im Jugendstrafrecht die Obergrenze bei zehn Jahren Haft liegt. Zehntausend Unterschriften wollten sie bis Prozeßbeginn sammeln, mehr als 15.000 kamen zusammen, und noch immer tragen sich Bürger in die Listen ein.

Die Bürgerinitiative hat den heimtückischen und grausamen Mord zum Politikum gemacht. Im baden-württembergischen Justizministerium rennt die Unterschriftensammlung offene Türen ein. FDP-Minister Ulrich Goll fordert ohnehin schon länger, Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren im Regelfall wie Erwachsene zu bestrafen. Goll hält es für ein Unding, daß volljährige junge Menschen, die Autofahren, wählen und Verträge schließen dürfen, bei Verkehrsdelikten zu 83 Prozent wie Erwachsene, bei Gewalttaten aber zu 88 Prozent wie Jugendliche bestraft würden. Man müsse "die richtigen Signale senden".

Der Mordprozeß, dem die "Initiative Yvan Schneider" maximale öffentliche Aufmerksamkeit gesichert hat, bietet dafür einen guten Anlaß. Verteidigt wird der Hauptangeklagte von der Münchner Renommierkanzlei Bossi. Auch international erregt das Verfahren Aufsehen: Pierre und Fabienne Schneider, Yvans Eltern, waren wenige Tage vor Prozeßbeginn im Elysée-Palast empfangen worden.

Sechs Prozeßtage sind angesetzt. Am 5. März soll das Urteil verkündet werden. Wie es auch ausfallen mag - die Debatte über Jugendkriminalität und ein strengeres Jugendstrafrecht ist noch lange nicht zu Ende.

Foto: Freunde von Yvan Schneider vor dem Landgericht: Botschaft vom anderen Planeten

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