© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/08 22. Februar 2008
Amerika, du machst es besser Die USA bekämpfen ihre Wirtschaftskrise, die Europäer nicht. Jenseits wie diesseits des Atlantik droht dasselbe Unheil: Wachstumseinbruch, Arbeitslosigkeit, Inflation. Die vor 30 Jahren durch den Ölpreisschock ausgelöste "Stagflation" (Stagnation bei Inflation) kehrt wieder. Doch in den USA weiß man, was not tut, um den ungebetenen Gast nicht erst ins Haus zu lassen: Verbilligung des Kredits, staatliche Nachfragestützung, Steuersenkung auf breiter Front. Besser, der Staat schreibt rote Zahlen als Wirtschaft und private Haushalte. Darin stimmen George W. Bush und seine potentiellen Nachfolger parteienübergreifend überein. Mit überwältigender Mehrheit genehmigte daher der US-Kongreß Anfang Februar auch das 150-Milliarden-Dollar-Konjunkturprogramm des US-Präsidenten. Ganz anders sieht man es in Brüssel, bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und in Berlin. Unterstützt von Experten und den üblichen Claqueuren, erklärt man die Konjunktur für robust, ein bißchen Abschwächung sogar für erwünscht, sie mildere die allgegenwärtige und durch die eigene Politik heraufbeschworene Inflationsgefahr. Nur leise sagt man, was man wirklich denkt: Nur so lasse sich das Lohnniveau (speziell in Deutschland) so niedrig halten wie bisher. US-Politik konterkariert den Markt-Fundamentalismus In der Medizin gelten Ärzte, die ihren Patienten längst erprobte Heilmittel verweigern oder diese schlechtreden, als Kurpfuscher. Naturheilkunde, die die Fortschritte der Medizin für einen bedauerlichen Irrweg erklärt, mag den einen oder anderen (meist psychosomatisch bedingten) Erfolg aufweisen. Als Garant für Volksgesundheit und längeres Leben auf Erden wäre sie eine Katastrophe. Ökonomen, die genauso denken, sind zwar ebenfalls für das verantwortlich, was sie mit ihren falschen Diagnosen und Rezepten anrichten, nehmen es aber offensichtlich auf die leichte Schulter. Niemand macht sie haftbar oder klagt sie an. Nur so läßt sich ihre merkwürdige Allianz mit den Interessenten aus der Wirtschaft und ihren mächtigen Lobbyisten erklären. Für beide ist der Markt mehr als eine bewährte Sozialtechnik, um in der Welt- oder der Volkswirtschaft den wirtschaftlichen Umgang der Menschen miteinander zu regeln. Sie überhöhen den Markt zu einem Wert "an sich" - und machen ein bloßes Mittel, um Absichten, Pläne und Maßnahmen der Akteure aufeinander abzustimmen, zum erklärten Ziel der Politik. Der Markt allein garantiere bürgerliche Freiheit und privates Eigentum und gewähre Schutz vor den willkürlichen Eingriffen unberechenbarer Mächte wie Staat, Kirche, Mafia oder Gewerkschaften. Diese totale Herrschaft des Marktes heißt heute "Globalisierung". Doch gerade die Gesellschaft, die seit jeher als Prototyp (und Nutznießer) einer marktgeprägten gegolten hat: die der USA, zieht diesen Markt-Fundamentalismus angesichts der heraufziehenden Krise in Zweifel. Nicht in Europa, sondern in den USA tut man alles, um sich vor den Folgen (und Kosten) einer vom Markt ausgehenden Krise zu schützen. Grotesk oder nicht: Europa, das sich bislang als "soziales Gegenmodell" (Helmut Schmidt) zum Turbo-Kapitalismus amerikanischer Prägung verstand, sieht in der Herrschaft eines staats- und interventionsfreien Gemeinsamen Marktes und dessen gemeinsamer staatsfreier Währung, des Euro, seine Zukunft: eine Zukunft, in der der Sozialstaat alter europäischer Prägung keine mehr hat! Wissenschaftlich ist diese Doktrin nichts anderes als die Wiederauferstehung eines alten und längst widerlegten Irrtums der Ökonomie: der Gleichsetzung von privatem und sozialen Nutzen. Der Markt kann dem einen oder anderen Teilnehmer ein Maximum an privatem Vorteil verschaffen. Ob dies auch der Gesellschaft nützt, steht auf einem anderen Blatt. Bereits die stereotype Wiederholung der Globalisierungsfans, der weltweite Wettbewerbs werde die Güter dieser Erde für alle Menschen billiger und leichter erreichbar machen, enthüllt den gedanklichen Kurzschluß. Wenn weltweit Preise und Kosten sinken, dann gehen auch Gewinne, Einkommen und Arbeitsplätze verloren: da nämlich, wo der Wettbewerb zur Betriebsschließung zwingt wie kürzlich bei Nokia in Bochum. Vom Gewinn der einen ist der Verlust der anderen abzuziehen. Der Beweis, daß dabei für die Gesellschaft (per Saldo) ein Nettogewinn herauskommt, steht bis heute aus. Die ökonomische Wissenschaft hat daraus spätestens seit der großen Welt-Depression der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts den Schluß gezogen, daß zwischen der Mikrowelt der Firmen und ihrer Interessen und der Makrowelt der Gesellschaft und ihres Gemeinwohls genauestens unterschieden werden müsse. Die Schlüsselfigur dieser Unterscheidung, der englische Ökonom, Politiker und Mathematiker John Maynard Keynes (ein Liberaler und kein Sozialist), hat aus diesem Antagonismus das bis heute wirksame Instrumentarium moderner Wirtschafts- und Sozialpolitik entwickelt. Renaissance des Ökonomen John Maynard Keynes Nicht zuletzt Deutschlands große Wirtschaftsminister der Nachkriegszeit, Ludwig Erhard und Karl Schiller, haben es getestet. Erhard hat der Marktwirtschaft die soziale Einbindung verordnet und gegen massive Widerstände (aus der Wirtschaft und seiner eigenen Partei) durchgesetzt. Karl Schiller hat ihre Instrumente im heute noch gültigen Wachstums- und Stabilitätsgesetz (von 1967) zusammengefaßt und geordnet: Es verpflichtet den Staat zum Eingreifen - immer dann, wenn der Markt als Garant des Wohlstandes für alle, von sozialer Gerechtigkeit, sicheren Renten und stabilem Geld versagt. Das alles soll im Zeitalter der Globalisierung nun nicht mehr gelten? In Europa wie in Deutschland wird man schon bald wieder lernen müssen: Das Firmenwohl ersetzt kein Gemeinwohl, erst eine auf Wachstumskurs gebrachte oder gehaltene Volkswirtschaft ermöglicht gesunde Firmen und sichere Arbeitsplätze. Deswegen ist der Keynesianismus nicht tot, im Gegenteil: Er ist neu zu entdecken. Das gilt besonders für jene, die ihn altersbedingt nicht mehr kennen - oder verkennen. Das Beispiel der USA und der Fortgang der Bankenkrise lassen gar keine andere Politik als die keynesianische mehr zu.
Prof. Dr. Wilhelm Hankel leitete unter Karl Schiller die Abteilung Geld und Kredit im Bundeswirtschaftsministerium. In der JF 10/08 antwortet Prof. Dr. Bernd-Thomas Ramb kritisch auf den obigen Beitrag. |