© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/08 22. Februar 2008
Kraft zum Alleinleben Manchmal ist der erste Eindruck für das Verhältnis zu einem Denker bestimmend. Das kann ein persönlicher oder - häufiger - ein durch Lektüre vermittelter sein. Im Falle Odo Marquards war es der Aufsatz "Verspielter Konservatismus", der am 11. November 1982 in der FAZ erschien. Faszinierend wirkten die Sprache Marquards, das Ungewohnte der Argumentation und das Fehlen aller Scheu vor konservativen Referenzgrößen: Martin Heidegger, Friedrich Georg Jünger, Helmut Schelsky und sogar Armin Mohler wurden ausdrücklich einbezogen. Das hatte natürlich mit der Stoßrichtung Marquards zu tun, der der gerade im Entstehen begriffenen Partei der Grünen eine konservative Programmatik unterschieben wollte. Der Vorschlag jedenfalls, Jünger und Heidegger sowie das Erbe von Romantik, Heimatschutz und Jugendbewegung in eine grüne Traditionslinie einzufügen, konnte eigentlich nur so verstanden werden. Ansprechend an Marquards Text war außerdem das Fehlen jener Altlasten, die sonst dem anhafteten, was konservativ daherkam, die Besonnenheit und Klugheit der Argumentation. Und diese Merkmale finden sich auch sonst in den Texten, die er zu Anfang der achtziger Jahre für ein breiteres Publikum, nicht nur für den Kreis der Fachgenossen in der Philosophie, veröffentlichte. Einige von ihnen wurden zu kleinen Bänden des Reclam-Verlags zusammengefaßt, darunter der Titel "Abschied vom Prinzipiellen". "Abschied vom Prinzipiellen" hieß auch der erste Beitrag in diesem Buch, der eine Art Rechenschaftsbericht darstellte. Marquard legte einen Teil seiner intellektuellen Biographie offen: die Gründe, die ihn zum Philosophiestudium bewogen hatten, die Zufälle, die ihn in der unmittelbaren Nachkriegszeit nach Marburg und dort in das Seminar Joachim Ritters führten. Vor allem aber ging es um die Beziehung zwischen seiner Denkweise und seiner Generationenzugehörigkeit. Jahrgang 1928, gehörte Marquard nach einer berühmt gewordenen Formel Schelskys der "skeptischen Generation" an, die von der "politischen Generation" deutlich geschieden war. Im nationalen und im europäischen Bürgerkrieg groß geworden, stand letztere unter dem Eindruck des Kampfes der Ideologien und der Leidenschaft für letzte Wahrheiten. Die skeptische Generation sah die dadurch heraufbeschworene Katastrophe und zweifelte an der Möglichkeit eindeutiger Antworten, das hieß Bescheidung und Einsicht in die Macht der Kontingenz und forderte eine skeptische oder eine "Philosophie der Endlichkeit" wie Marquard sie nannte. Er selbst hat diese Orientierung zuerst in seinem Buch "Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie" deutlich hervorgehoben, das schon 1973 erschienen war und die Geschichtsphilosophie als "Mythos der Aufklärung" verwarf, eine Art falsches Bewußtsein, das weismacht, der historische Prozeß habe ein eindeutiges Ziel - das Reich der Freiheit -, und zur Erreichung dieses Ziels tendenziell alle Mittel erlaubt. Dagegen setzte Marquard die Auffassung, daß eine philosophische Anthropologie vor solchen Verirrungen bewahre und jedenfalls eine totale Formierung verhüte, die sich mit dem Verweis auf Kenntnis der Geschichtsgesetze legitimiert. Die vom Menschen geschaffenen Kulturen könnten grundsätzlich verschiedene Wege einschlagen, ohne sich dem "Fortschritt" unterwerfen zu müssen. Wer die Debatten der siebziger Jahre kennt, wird unschwer ausmachen, wie massiv diese Argumentation gegen die dominierende Denkschulen - die der "Kritischen Theorie" vor allem - gerichtet war. Und auch dafür hat Marquard eine lebensgeschichtliche Begründung gegeben, wenn er von der notwendigen "Analyse des eigenen Mitmachverhaltens in den sechziger Jahren" sprach und der dann folgenden "Umkehr in die Absage, in die Weigerungsverweigerung". In spöttischem Ton schilderte er, welche Zurücksetzung oder wenigstens welche Karrierehemmnisse man als Hochschullehrer in Kauf nehmen mußte, wenn man sich außerstande sah, die eigenen Auffassungen mit den revolutionären Üblichkeiten zu drapieren. Es soll trotz des leichten Tons der Mut nicht vergessen werden, der zu dieser Art von Abseitsstehen nötig war. Nach '68 haben ihn nur wenige aufgebracht, weil das jene "Kraft zum Alleinleben" voraussetzte, die Marquard als notwendige Bedingung charakterisiert hat - für das Betreiben von Wissenschaft einerseits, für die Existenz in einer Gesellschaft andererseits, die nur noch die "einsame Masse" kennt, um ein Stichwort David Riesmans aufzunehmen: eine Menge, die auf Gleichheit beruht und Ungleichheit immer weniger erträgt, jedenfalls keine nach außen gezeigte, weshalb jeder einzelne sein faktisches Anders-Sein verbergen muß und in seinem Inneren immer einsamer wird. Es ist für Marquard typisch, daß er diesen Sachverhalt für unhintergehbar hält, aber keine Resignation empfiehlt und schon gar keine der üblichen Therapien - "Gruppensucht" oder "kommunikative Fernemphasen" -, sondern eine Kur nach altem Hausrezept: Humor, Bildung und Religion. Was die Bildung angeht, so nimmt man nicht ohne Bewegung Marquards Verteidigung der Geisteswissenschaften wieder zur Hand. Man liest die klugen Gedanken, die überraschenden Schlußfolgerungen, die selbstironischen Ausführungen zur "Inkompetenzkompensationskompetenz", aber es bleibt doch ein Ungenügen. Das hängt mit dem Charakter solcher Verteidigung als Verteidigung zusammen. Denn alles von Marquard Vorgetragene ist seinem Wesen nach defensiv und setzt voraus, daß es selbstverständlich noch eine Linie gibt, die sich mit Aussicht auf Erfolg halten läßt. Die Ursache dafür ist jener "Modernitätstraditionalismus", den Marquard mit dem zweiten Berühmten der "Ritter-Schule" - Hermann Lübbe - teilt: die Überzeugung, daß die Errungenschaften der Neuzeit, soweit sie die Freiheit des Individuums betreffen, unbedingt schützenswert sind. Das ist seinem Wesen nach eine optimistische, keine skeptische Auffassung, die gleichzeitig hindert, die Bedingungen solcher Freiheit vollständig zu erfassen und über die Mittel konsequent nachzudenken, die zu ihrer Verteidigung oder Regeneration angewendet werden müßten. Foto: Odo Marquard in seinem Arbeitszimmer in Gießen: Am Dienstag nächster Woche kann der Philosoph seinen achtzigsten Geburtstag feiern |