© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Scheinheiligkeit
Karl Heinzen

Die Bürgerinnen und Bürger Niedersachsens haben die auf der Liste der Linken kandidierende 60jährige Ruheständlerin Christel Wegner am 27. Januar in den Landtag gewählt. Die Freude der frischgebackenen Abgeordneten, ihrer politischen Heimat, der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), auf diese Weise ein ungewohntes parlamentarisches Terrain erschlossen zu haben, wurde jedoch sehr schnell getrübt. Ausgerechnet vor laufender Kamera ließ sie sich zu saloppen Äußerungen zu historischen Details der einstigen DDR hinreißen, die so nicht einmal den eigentlichen Erben der SED über die Lippen zu kommen pflegen.

Diesen Fauxpas hat nun nicht allein die (partei-)politische Konkurrenz genußvoll in eine Kampagne umgemünzt. Auch in der Linken, die doch endlich frei vom Ballast einer unseligen Vergangenheit in ganz Deutschland angekommen sein wollte, regen sich um die Wahlaussichten in Hamburg besorgte Kräfte und fordern Christel Wegner zum Verzicht auf ihr Mandat auf.

Sicherlich dürfte das, was sie geäußert hat, in unserer Republik selbst dann, wenn sie sich noch weiter nach links bewegen sollte, nicht so schnell konsensfähig werden. Gerade deshalb aber wäre es angebracht, diesen "Fall" nicht zu dramatisieren, sondern Christel Wegners Ansichten als das aufzufassen, was sie sind: ein Randphänomen, das unsere demokratische Ordnung kaum ins Wanken bringen wird. Vereinzelte Kommunisten in irgendwelchen Parlamenten können unser Land nicht verändern, geschweige denn auf den Kopf stellen. Dies gilt um so mehr, wenn sie wie Christel Wegner mit offenen Karten spielen. Man mag ihr vielleicht den Vorwurf machen, eine unbelehrbare Ewiggestrige zu sein. Sie hat aber niemanden getäuscht, weder die Linke, die sie als Kandidatin nominierte, noch die Wähler, die vielleicht nicht wußten, wem sie da ihre Stimme gaben, aber doch die Chance hatten, dies ohne allzu große Mühe in Erfahrung zu bringen. Ein bißchen Eigeninitiative bei der Meinungsbildung ist dem mündigen Bürger ja wohl zuzumuten.

Viel bedenklicher als Extremisten, die erklärtermaßen die Verhältnisse umwälzen wollen, sind etablierte Politiker, die scheinheilig so tun, als würden sie unsere Verfassung verteidigen, wenn sie sich über den Willen des Souveräns hinwegsetzen. Es mag in "gelenkten Demokratien" wie dem Iran oder Rußland zwar gang und gäbe sein, die Entscheidung des Wählers über die Zusammensetzung seiner Parlamente nach Gutdünken vorab zu kanalisieren oder nachträglich zu korrigieren. Unser Land sollte sich daran aber kein Vorbild nehmen.

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