© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

Unruhe imTotenreich
Vor 25 Jahren starb Tennessee Williams
Silke Lührmann

Die Bluthunde, die der Sheriff von Two River County auf einen flüchtigen Sträfling hetzt, kläffen als Geräuschkulisse zu Tennessee Williams' tragisch-romantischem Theaterstück "Orpheus Descending" (Orpheus steigt herab, 1957): Ausdruck einer im Herzen der Kleinstadt brodelnden Gewalt, die sich jederzeit entladen kann - nicht nur gegen Gesetzesbrecher, sondern gegen Außenseiter, gegen Fremde, gegen alle, die andere Träume haben als den amerikanischen vom materiellen Wohlstand.

Freilich brauchen die Menschen keine Hilfe aus dem Tierreich, um einander zu zerfleischen. Wer Marlon Brando als Stanley Kowalski und Vivien Leigh als Blanche DuBois in Elia Kazans 1951er Verfilmung von "A Streetcar Named Desire" (Endstation Sehnsucht, 1947) gesehen hat, weiß das. Und in "Orpheus Descending", 1959 von Sidney Lumet als "The Fugitive Kind" (Der Mann mit der Schlangenhaut) wieder mit Brando in der männlichen Hauptrolle auf die Leinwand gebracht, sind es schließlich nicht die Hunde, sondern ein Lynchmob, der den Streuner Val erlegt, bevor er mit seiner Gitarre und seiner Schlangenhautjacke noch mehr Unruhe in das Totenreich der Angepaßten und Bigotten, der Kirchgänger und Tugendwächter bringen kann: "Wilde Geschöpfe ... hinterlassen saubere Häute und Zähne und weiße Knochen, und das sind Pfänder, die einer dem anderen weitergibt, damit die Ruhelosen ihren Artgenossen folgen können."

"Einzelhaft in unserer eigenen einsamen Haut"

Der Pulitzer- und Tony-gekrönte Broadway-Autor "Tennessee" (Thomas Lanier III.) Williams war kein Streuner und kein Angepaßter. Seine dramaturgische Sorge um labile, fragile Figuren in beklemmenden Lebenslagen, die herbe Note der Symbolik, die Werke wie "The Glass Menagerie" (Die Glasmenagerie, 1944) oder "Cat on a Hot Tin Roof" (Die Katze auf dem heißen Blechdach, 1955) durchtränkt, entspringt der Biographie des gebürtigen Südstaatlers: der schweren Krankheit, die ihn als Kind zwei Jahre lang lähmte, und den Depressionen, die ihn später heimsuchten; der von den Eltern veranlaßten Lobotomie, an deren Folgen seine schizophrene Schwester Rose litt; dem Krebstod seines langjährigen Geliebten Frank Merlo 1963, mit dem auch Williams' große Schaffensperiode endete.

Am 25. Februar 1983, einen Monat vor seinem 72. Geburtstag, erstickte Tennessee Williams unter Einfluß von Alkohol und Medikamenten in seinem New Yorker Hotelzimmer an dem Verschluß einer Flasche Augentropfen.

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