© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

Auf jeden Fall Feinde des Parlaments
Vor 75 Jahren fiel der Berliner Reichstag einer Brandstiftung zum Opfer / Der Streit um die Täterschaft polarisiert bis heute
Felix Krautkrämer

In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 kam es in Berlin zu einem Feuer, das nicht nur ganz Deutschland in Aufruhr versetzen, sondern auch das Ende der Weimarer Republik maßgeblich beschleunigen sollte: der Brand des Reichstages. Bis heute sorgt dieses Ereignis unter Historikern und Forschern für teilweise erbitterte Auseinandersetzungen, denn der Brand ist noch immer nicht vollständig aufgeklärt. Die Debatte um die möglichen Täter und Hintergründe wird unter anderem auch so heftig geführt, weil der Reichstagsbrand ein wichtiges Element auf dem Weg zur nationalsozialistischen Diktatur darstellt. Ohne ihn wäre das am 23. März 1933 beschlossene "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich", besser bekannt als Ermächtigungsgesetz, kaum möglich gewesen wäre. Von da an konnte Adolf Hitler, der am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt worden war, mit seinen Ministern ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat regieren.

Die Täterschaft ist bis heute heftig umstritten

Das derzeitige hohe mediale Interesse am Reichstagsbrand ist nicht nur auf den 75. Jahrestag zurückzuführen, sondern auch darauf, daß die Bundesanwaltschaft vergangenen Dezember das Urteil gegen den als Brandstifter verurteilten Niederländer Marinus van der Lubbe aufhob. Der vermeintliche Kommunist war im Reichstagsbrandprozeß am 23. Dezember 1933 als Alleintäter zum Tode verurteilt und am 10. Januar 1934 in Leipzig enthauptet worden. Anders als vielfach behauptet traf die Bundesanwaltschaft jedoch keine Aussage über die Schuld beziehungsweise Unschuld van der Lubbes. Das Urteil gegen ihn wurde lediglich "von Amts wegen" aufgehoben.

Am Tag nach dem Reichstagsbrand hatte Reichspräsident Paul von Hindenburg die "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" (Reichstagsbrandverordnung) erlassen. Auf ihrer Grundlage wurden nach den Reichstagswahlen im März 1933 alle politischen Mandate der KPD annulliert. Zudem konnte unter anderem Brandstiftung fortan mit dem Tode bestraft werden.

Doch trotz der Reichstagsbrandverordnung hätte van der Lubbe nicht zum Tode verurteilt werden können, da auf sein Verbrechen zum Tatzeitpunkt nicht die Todesstrafe stand. Daher beschloß das Reichskabinett am 29. März 1933 das "Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe", wonach die in Paragraph 5 der Reichstagsbrandverordnung enthaltene Todesstrafe auch auf Taten angewendet werden konnte, die zwischen dem 31. Januar und dem 28. Februar begangen worden waren. Dieses Gesetz, auch "Lex van der Lubbe" genannt, war in doppelter Hinsicht rechtswidrig. Zum einen verstieß es gegen das Rückwirkungsverbot, zum anderen war es kein allgemeingültiges Gesetz. Daher hob die Bundesanwaltschaft das Todesurteil van der Lubbes auf Grundlage des Gesetzes zur "Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege" vom 25. August 1998 nun auf.

Zur Frage der Täterschaft des Reichstagsbrands äußerte sich die Bundesanwaltschaft allerdings nicht, denn diese ist bis heute umstritten und hat zu einem tiefen Streit zwischen zwei Lagern geführt. Die eine Gruppe hält nach wie vor an der Alleintäterschaft van der Lubbes fest, die andere vermutet hinter der Brandstiftung die Nationalsozialisten selbst. Den endgültigen Beweis für die eigene These kann aber keine Seite erbringen.

Zur ersten Gruppe gehören vor allem Fritz Tobias und Hans Mommsen. Tobias, früher niedersächsischer Oberregierungsrat und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, veröffentlichte 1959/60 eine ausführliche und aufsehenerregende Serie im Spiegel, in der er erstmals zahlreiche Fakten präsentierte, nach denen weder die Kommunisten noch die Nationalsozialisten, sondern van der Lubbe im Alleingang den Reichstag in Brand gesteckt hatte. Bis dahin war davon ausgegangen worden, daß die Nationalsozialisten die wahren Täter gewesen waren, da sie maßgeblich vom Reichstagsbrand und seinen Folgen profitiert hatten.

Als Reaktion auf die Spiegel-Serie zum Reichstagsbrand beauftragte das Institut für Zeitgeschichte in München (IfZ) den Gymnasiallehrer und Historiker Hans Schneider mit der Überprüfung der von Tobias getroffenen Behauptungen. Schneider kam zu dem Ergebnis, daß Tobias gravierende Fehler unterlaufen waren, und schloß eine Alleintäterschaft aus. Noch bevor er jedoch seine Studie veröffentlichen konnte, entzog ihm der damalige Direktor des IfZ, Helmut Krausnick, im November 1962 den Auftrag und verbot ihm die Publikation seiner Ergebnisse - "aus allgemeinpolitischen Gründen" sei eine derartige Publikation "unerwünscht", so das IfZ.

Nationalsozialisten als Täter volkspädagogisch erwünscht

Maßgeblichen Einfluß auf die Entscheidung hatte der IfZ-Mitarbeiter und junge Historiker Hans Mommsen. Dieser empfahl laut einer Dokumentation des SWR Krausnick sogar, Schneider an der Veröffentlichung seiner Ergebnisse zu hindern, indem man über seine vorgesetzte Schulbehörde Druck auf ihn ausübe.

Im Juli 1964 veröffentlichte Mommsen dann in den vom IfZ herausgegebenen Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte einen vielbeachteten Beitrag, in dem er Tobias' Version der Alleintäterschaft bestätigte und wissenschaftlich untermauerte, wodurch diese sich weitgehend durchsetzte. Tobias hatte mittlerweile 1962 seine Thesen in einem über 700 Seiten starken Buch zusammengefaßt. Das IfZ distanziert sich heute allerdings von seiner damaligen Vorgehensweise.

Die vehementesten Gegner Mommsens und Tobias' waren von Beginn an der Schweizer Historiker Walter Hofer und Edouard Calic, ein kroatischstämmiger Italiener und nach eigenen Angaben ehemaliger KZ-Häftling, der nach dem Krieg unter fragwürdigen Umständen neben einem Wiedergutmachungsbetrag auch einen Doktortitel erhielt.

Hofer und Calic wiesen zwar glaubhaft nach, daß van der Lubbe den Reichstag unmöglich alleine hätte in Brand stecken können, darüber hinaus wollten sie aber auch unter allen Umständen die Nationalsozialisten einer Täterschaft überführen. Dafür riefen sie 1968/69 das "Internationale Komitee Luxemburg" - eine Art Kommission zur Untersuchung des Reichstagsbrandes - ins Leben. Zu den Kuratoriumsmitgliedern des Luxemburgkomitees gehörte auch Golo Mann, der allerdings die Auffassung vertrat, andere Brandstifter als die Nationalsozialisten seien schon aus "volkspädagogischen" Gründen nicht wünschenswert.

1972 veröffentlichten Hofer, Calic und andere eine "wissenschaftliche Dokumentation" zum Reichstagsbrand, in der sie mittels "negativer Beweisführung" die nationalsozialistische Täterschaft darstellten. Nach ihnen hätte van der Lubbe niemals, wie er selbst angegeben hatte, das schwere Eichenholzmobiliar im Reichstag lediglich mit einem kleinen Stückchen Stoff anzünden können. Dafür seien mehrere Täter und Brandbeschleuniger nötig gewesen, und daher kämen nur die Nationalsozialisten in Frage. Denn diese hätten durch den unterirdischen Gang in den Reichstag gelangen können, der diesen mit dem Palais des Reichstagspräsidenten verband. Reichstagspräsident war schließlich Hermann Göring.

1978 erschien ein zweiter Band. Mit ihm sollte endlich auch "positiv" bewiesen werden, daß die Nationalsozialisten den Reichstag angezündet hätten. Allerdings berief sich das Luxemburger Komitee auf teilweise höchst zweifelhafte Dokumente, die nur ihnen zugänglich seien, weshalb Mommsen, Tobias sowie der Politikwissenschaftler Eckhard Jesse den Vorwurf 1986 der Fälschung erhoben. Bezeichnenderweise gingen Hofer und Calic gegen diese Anschuldigung weder rechtlich vor, noch versuchten sie, diese durch das Vorlegen ihrer geheimen Quellen und Dokumente zu widerlegen. Der zweite Band der Dokumentation erwies sich dann auch als völlig fehlerhaft und wissenschaftlich nicht haltbar.

In den letzten Jahren versucht vor allem der linke Historiker Alexander Bahar, Hofers und Calics Version der nationalsozialistischen Täterschaft zu rehabilitieren. Unter anderem behauptet er, allerdings ohne stichhaltige Beweise, im Zuge der Röhm-Affäre seien 1934 die wahren Täter und ihre Mitwisser des Reichstagsbrandes liquidiert worden, was wiederum ein Beweis für die NS-Täterschaft sei. Neben den mangelnden Beweisen für seine Behauptungen spricht jedoch auch die völlig überraschte und in hektischem Aktionismus ausartende Reaktion der Nationalsozialisten auf den Reichstagsbrand dagegen. Daß sie diesen wirklich für das Fanal eines kommunistischen Aufstands hielten, belegen nicht zuletzt die Tagebucheintragungen Josef Goebbels'.

Eine Alleintäterschaft ist nahezu ausgeschlossen

Auch wenn die Alleintäterschaft van der Lubbes nahezu ausgeschlossen werden kann, ist die Theorie der nationalsozialistischen Täterschaft nicht unbedingt glaubwürdiger. Die Vertreter dieser These haben sämtliche Fakten und Anhaltspunkte ausgeklammert, die gegen sie sprechen würden. Sie haben zuerst das Ergebnis gesetzt und dann ihre Argumentation so konstruiert, daß am Ende eben nur das von ihnen gewünschte Resultat stehen kann. Dafür griffen und greifen sie auch auf abenteuerlichste Verschwörungstheorien zurück. Eine endgültige Beantwortung der Frage nach den Hintergründen des Reichstagsbrandes dürfte auch deswegen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sein.

 

Sven Felix Kellerhoff: Der Reichstagsbrand: Die Karriere eines Kriminalfalls. Bebra Verlag, Berlin, 2008.

Dieter Deiseroth (Hrsg.): Der Reichstagsbrand und der Prozeß vor dem Reichsgericht, Verlagsgesellschaft Tischler, Berlin, 2006.

Alexander Bahar/Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand: Wie Geschichte gemacht wird. Berlin, 2001.

Uwe Backes/Eckhard Jesse/Hans Mommsen u.a.: Reichstagsbrand - Aufklärung einer historischen Legende. München, 1986.

Fritz Tobias: Der Reichstagsbrand: Legende und Wirklichkeit. Rastatt, 1962.

Alfons Sack: Der Reichstagsbrand-Prozeß. Berlin, 1934.

 

Fotos: Der brennende Reichstag am Abend des 27. Februar 1933: Der These der Alleintäterschaft van der Lubbes steht Vermutungen über eine nationalsozialistisch gesteuerte Brandstiftung gegenüber, Relikt des Reichstags-Tunnels: Anlaß für Spekulationen

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