© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

Jonathan Littells Roman "Die Wohlgesinnten": Dokumentation über einen der meistdiskutierten Bücher der letzten Zeit
Auf den Spuren einer literarischen Sensation
Thor Kunkel

Rechtzeitig zur Berliner Lesung von Jonathan Littells Roman "Die Wohlgesinnten" begibt sich Arte auf die Spuren der literarischen Sensation dieses Frühjahrs. Trotz eines Umfangs von über eintausend Seiten, einer Handlung, die an De Sades "120 Tage von Sodom" erinnert und eines Anti-Helden mit null Identifikationspotential verkaufte sich der Roman in Frankreich über 800.000 mal. Die fiktive Biographie eines homosexuellen SS-Offiziers begeisterte selbst die weibliche Kundschaft, ohne die es heute kein Roman auf die Bestsellerliste schafft. Die Dokumentation beleuchtet nicht nur die Hintergründe des Erfolgs, sie wagt auch bereits eine Prognose, wie Littells Buch bei den Deutschen ankommen wird.

Viele am Entstehungsprozeß Beteiligte kommen zu Wort - wobei das "Gemunkel", man habe sofort die überragende literarische Qualität gewittert, recht merkwürdig klingt: Immerhin verzögerte sich das Erscheinen der deutschen Übersetzung nicht nur durch die Politur des sprachlichen Klangs, sondern auch durch die Beseitigung der Recherche-Fehler, die dem 37jährigen Ex-Science-fiction-Autor unterliefen. Zumindest in Spanien blieb ein Erfolg aus. Von alledem hört man in der Doku aber nichts, dafür betonen die Macher immer wieder Littells "jüdische Herkunft" und projizieren den, so wörtlich, "geheimnisvollen Autor" als publikumsscheuen Gutmenschen, der sich lieber in Krisengebieten aufhält, als den Literaten zu spielen. Es ist ein sehr auf Sympathie abzielendes Porträt, das Arte den Zuschauern präsentiert, und bei soviel Wohlwollen sollte man erfahrungsgemäß hellhörig sein. Als Pate der Sendung präsentiert sich übrigens ein skeptisch-verzückter Michel Friedman, der mal wieder zu Höchstform aufläuft. Ein echter Lichtblick: Christian Berkel liest - unter der Regie von Oliver Hirschbiegel ("Der Untergang") - brottrockene Passagen aus Littells Werk. Sehr sehens- und hörenswert!

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