© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Kindstötung als Familienplanung
Fristenlösung
von Doris Neujahr

Bevor er in die Politik ging, hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) als Gynäkologe und Klinikdirektor reichlich Berufs- und Lebenserfahrung gesammelt. Seine Überzeugung, die Häufung von Kindstötungen in den neuen Ländern hänge mit dem mangelnden Respekt gegenüber dem ungeborenen Leben in der DDR zusammen, hat also Gewicht. Vor 1989 pfiffen es dort die Spatzen von den Dächern, daß die "Schwangerschaftsunterbrechung" auch als Mittel zur Familien- und Urlaubsplanung genutzt wurde. Böhmers Kritiker beweisen lediglich ihren Opportunismus oder ihr Unwissen oder beides.

Warum der west-östliche Aufruhr über seine Äußerung? Die Feministinnen, für die die Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs stets ein Hauptanliegen und die voraussetzungslose Fristenlösung der DDR vorbildlich war, schäumen, weil Böhmer sie indirekt mit der Perspektive konfrontiert, daß ihr Siegeszug die Welt nicht automatisch menschlicher macht. Andere fühlen die Emanzipation des Menschen von seinem Gattungszweck, das Streben nach individueller Selbstverwirklichung als der letzten Transzendenzform der westlichen Moderne und damit den eigenen Lebensentwurf angegriffen. Auch die Christdemokraten, die Böhmer jetzt kollektiv im Stich lassen, haben dieser "Transzendenz zum Untergang" (Ernst Nolte) offenbar nichts entgegenzusetzen.

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