© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Götz Aly: Der Feuilleton-Vergangenheitsbewältiger wird nun selbst bewältigt
Sein Kampf
von Florian Keyser

Hingebungsvoller kann man unsere Zivilreligion kaum zelebrieren als der 1947 in Heidelberg geborene Berliner Journalist und Geschichtspolitiker Götz Aly. Der Mann war unter anderem Redakteur bei der taz und der Berliner Zeitung und später Gastprofessor am Frankfurter Fritz-Bauer-Institut, beschäftigt mit der Holocaust-Forschung. Danach berief ihn der Bundespräsident in den Stiftungsrat des Jüdischen Museums der Hauptstadt. Das Bundesverdienstkreuz, die bundesdeutsche Version des Roten Adlers vierter Güte, folgte als Zugabe. Im Jahr 2005 konnte das einstmals so antibürgerliche Mitglied diverser maoistischer K-Gruppen und der Roten Hilfe  dann endgültig in der Mitte der Zivilgesellschaft admittieren und mit "Hitlers Volksstaat" (JF 8/06) - dank medialem Geleitschutz auch wirtschaftlich erfolgreich - seine abenteuerlichen Thesen über den gemeinen deutschen (Volks)-Genossen am Markt plazieren, der während der NS-Zeit wohlwollend am Judenmord aus rein egoistischer Raubgier partizipierte.

Trotzdem schützt obsessive Überanpassung nicht davor, als Antisemit denunziert zu werden. Das widerfährt Aly ob seines eben im S. Fischer Verlag erschienenen Buch "Unser Kampf 1968", das nicht wie üblich Schuld vor 1945, sondern die Studentenbewegung von 1968 thematisiert. Weil er hier Personal und Methoden der Achtundsechziger zu oft mit der anderen Jugendbewegung von 1933 vergleicht und "relativierend" Rot gleich Braun setzt, fallen alte Weggefährten über ihn her: Franziska Augstein natürlich, die in der SZ hinter solchen Provokationen nur Alys clevere Werbestrategie wittert. Für Junge Welt und Jungle World sieht das schon anders aus. Die Ultralinken rücken ihren "infamen" Ex-Genossen gar in die Nähe der NPD, da er "Nazi-Opfern" so wenig Respekt zolle. Clemens Heni spitzt im radikalzionistischen Online-Dienst Die Jüdische in Tollhäuslerdiktion zu: Wer Goebbels und Dutschke vergleiche, sei ein "Antisemit". Er verharmlose den Holocaust, ja er müsse als "Bundesverdienstkreuz tragender moderner Vertreter des soft-core denial der Shoah" gelten.

Polemischer Unflat erklärt das Medienphänomen Aly freilich nicht. Woher die breite Resonanz fürs Pseudowissenschaftliche, für Historie aus der Mikrowelle, fix zubereitet? Doch wohl daher, daß hier ein Vereinfacher mit viel Zeitgeistgespür zu Werke geht und dabei eigene "Betroffenheit" vermarktet. Wie alle seine Publikationen, einerlei ob zu Euthanasie, Bevölkerungspolitik oder Ostforschung, gründet auch "Unser Kampf" im Persönlichen: Als "nicht seriöser" (Hans-Ulrich Wehler), 1978 mit sozialpädagogischem Trallalla promovierter Historiker prangerte er die "braune Vergangenheit" des akademischen Establishment an, das ihm den Lehrstuhl versagte. Und als einstiger Aktivist der kaum Wohngemeinschaftsformat erreichenden KPD AO  bewältigt er mit "Unser Kampf 1968" nun Spätpubertäres. Stets bleibt er, was er unser ist und immer war: der "Guido Knopp des Feuilleton" (Peter Mühlbauer).

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen