© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Knallharte Machtpolitik Ankaras
Türkische Großoffensive im Nordirak: Bagdad und kurdische Regionalregierung sehen einen Verstoß gegen das Völkerrecht
Günther Deschner

Trotz aller Warnungen und Beschwörungen aus Bagdad, aus EU-Brüssel, aus den "großen" europäischen Hauptstädten und aus Washington hat die türkische Armee nun doch ihre grenzüberschreitende Militäraktion gegen die PKK im Nord­irak begonnen. Sie geht bereits in die zweite Woche.

Zwei Brigaden, zeitweise bis zu zehntausend Soldaten, unterstützt von schweren Kampfpanzern, Jagdbombern und Artillerie, drangen bis 50 Kilometer tief in den Irak ein. Es kam zu zahlreichen Gefechten mit kleineren Einheiten der PKK. Jagdkommandos sollen mit Hubschraubern auch bis in die Kandil-Berge (entlang der irakisch-iranischen Grenze) vorgedrungen sein, in denen sich das Hauptquartier der PKK befinden soll. Spezialkräfte sollen, wie regierungsnahe Zeitungen am Montag berichteten, hochrangige Funktionäre der kurdischen Rebellengruppe jagen, vor allem die Feldkommandanten und den Schatzmeister der PKK.

Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Entwicklung zwischen dem US-Verbündeten Türkei und dem von Washington als "Schurkenstaat" attackierten Iran, daß Teheran die irakisch-iranische Grenze geschlossen und die iranische Militärpräsenz im Grenzgebiet erhöht hat, um ein Entkommen größerer PKK-Gruppen aus den Kandil-Bergen zu erschweren. Am Sonntag hatte der türkische Generalstab auch die Führung der irakischen Kurden gewarnt, die PKK nicht zu unterstützen und ihren Kämpfern keinen Unterschlupf zu gewähren.

Die kurdische Regionalregierung, bislang einer der wenigen und jedenfalls der treueste "Freund" und Partner der US-Regierung in der Region, hatte tags zuvor in Washington dagegen protestiert, daß man der Türkei "grünes Licht" gegeben hatte. "Wir machen die US-Regierung", so der für die Auslandsbeziehungen zuständige kurdische Staatsminister Falah Mustafa, "für die Militäraktionen verantwortlich, denn ohne ihre Zustimmung hätte es die Türkei nicht gewagt, die territoriale Integrität des Irak zu verletzen." 

Auch Bagdad protestierte offiziell und forderte den "sofortigen Rückzug aus dem Irak". Was der Türkei unter Bezug auf Artikel 51 der UN-Charta ein Akt der Selbstverteidigung gegen Terroristen ist, gilt Bagdad in seltenem Gleichklang mit der kurdischen Regionalregierung als Verstoß gegen das Völkerrecht.

In der Tat erlaubt Artikel 51 militärische Maßnahmen zur Selbstverteidigung, sofern das Land bewaffneten Angriffen ausgesetzt ist. Ankara hält das für gegeben, weil die kurdische Separatistenorganisation PKK von ihren Stellungen im Nordirak aus immer wieder Angriffe und Anschläge auf türkischem Gebiet durchführte. Auch die Gegenposition stützt sich auf die Charta. Nach Artikel 2 sind alle Staaten zum Gewaltverzicht verpflichtet. Streitigkeiten sollen demnach auf dem Verhandlungswege gelöst werden. Ein Angriff auf ein fremdes Staatsgebiet gilt grundsätzlich als Verletzung der Souveränität. In letzter Instanz entscheidet der UN-Sicherheitsrat nach den "Umständen des jeweiligen Einzelfalls", ob eine Invasion mit dem Völkerrecht in Einklang zu bringen ist.

Obwohl Washington, das lange versuchte, die Türkei von einem militärischen Vorgehen abzubringen, den Einmarsch nun offenbar doch abnickte, hat US-Verteidigungsminister Robert Gates gemahnt, die kurdische Rebellenbewegung sei mit militärischen Maßnahmen allein "kaum zu besiegen". Zur Lösung der Probleme mit den kurdischen Separatisten seien zusätzlich politische und wirtschaftliche Initiativen nötig.

Spätestens jetzt dämmert wohl auch den Führern der irakischen Kurden, daß sie auf dem Schachbrett der Weltpolitik wieder einmal nichts anderes gewesen sind als der Bauer, den man vorschickt und den man bedenkenlos opfert, wenn es um etwas "Größeres" geht.

Analysten meinen sogar, das eigentliche Ziel der Türken-Operation könne auch etwas ganz anderes sein als die Bekämpfung der PKK. Vielmehr könne es um die Disziplinierung und Einschüchterung des nordirakischen Kurdenpräsidenten Massud Barsani gehen.

Für die USA, deren Optionen in Nahmittelost sehr überschaubar geworden sind, ist - durch die knallharte Machtpolitik Ankaras vor die Wahl gestellt - die regionale Großmacht Türkei doch wichtiger als der kleine kurdische Verbündete im Nordirak. Barsani kann nun sicher sein, daß die Vereinigten Staaten von Amerika über den Status quo hinausgehende Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden im Nordirak nicht unterstützen werden.

Foto: Türkische Spezialkräfte machen in den verschneiten Bergen des Nordirak Jagd auf PKK-Aktivisten: Warnungen aus Bagdad und Brüssel in den Wind geschlagen

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