© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Schatten des organisierten Verbrechens
Italien im Griff der Mafia: Ein geschätzter Jahresumsatz von 90 Milliarden Euro / Regierung stockt Sicherheitskräfte auf
Paola Bernardi

Niemand wunderte sich, als der oberste Staatsanwalt von Rom, Italo Ormanni, im Januar 2008 bekanntgab, daß "die Camorra neuerdings ihre Hände über Roms historisches Zentrum gelegt hat". Will heißen, daß das organisierte Verbrechen sich hier besonders auf dem Sektor des Übernachtungs- und Gaststättengewerbes neu eingenistet hat. Immer mehr Hotels und Restaurants in der italienischen Hauptstadt sind nun im Besitz von Mafiosi. "Rom als Touristenmagnet bietet sich geradezu ideal als neuer Standort für die Geldwäsche der Camorra an", so Ormanni.

Diese Aussage der Staatsanwaltschaft  steht nicht etwa auf den ersten Seiten der Zeitungen, die in Rom erscheinen, sondern nur in der Stadtteil-Ausgabe.

Denn seit langem liegt der Schatten des organisierten Verbrechens wie schwerer Mehltau über dem Süden. Jeder weiß es, doch keiner spricht darüber. Nur manchmal, wenn über Nacht eine Edelboutique im Zentrum von Rom in Flammen aufgeht, ahnt man, daß hier jemand versucht hat, sich gegen den "Pizzo" (Schutzgeld-Erpressung) zu wehren. Die Strafe folgt umgehend.

Versuche der Polizei und Staatsanwaltschaft, die berüchtigte Mauer des Schweigens zu durchbrechen, verlaufen meist erfolgslos. Die Zahl der Anzeigen wegen mafioser Erpressung bleibt gering. Wer will schon sein Leben oder das seiner Familie für eine Geldsumme aufs Spiel setzen.

Denn die Mafia ist überall. So wurde jetzt bekannt, daß selbst Roms größter Trödelmarkt - Porta Portese - im römischen Stadtteil Trastevere, diese allsonntägliche Touristen-Attraktion, in den Händen des organisierten Verbrechens ist. Jeder Aussteller auf der Straße mußte ein Schutzgeld von 100 Euro bezahlen. Andernfalls blieb er ausgeschlossen.

Fast jeder Geschäftsmann im Süden Italiens zahlt Pizzo: In den Schutzgeldhochburgen, Palermo, Neapel und in Rom müssen Boutiquen 1.000 Euro, Supermärkte 5.000 und Großbaustellen bis zu 10.000 Euro im Monat an die Mafia zahlen. Diese sogenannte "Mafia-Steuer" bringt dem organisierten Verbrechen jährlich rund zehn Milliarden Euro, so ermittelte der Einzelhandelsverband Confesercenti in Zusammenarbeit mit Mafia-Experten der Polizei und der Justiz.

Mit einem geschätzten Jahresumsatz von rund 90 Milliarden Euro sind die italienischen Mafia-Organisationen zusammengenommen das größte Unternehmen im Lande. Die Mafia erwirtschaftet jährlich sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Haupteinnahmequellen der Mafiosi sind Schutzgeld-Erpressungen und Wucherzinsen und der Handel mit gefälschten Markenartikeln. Drogen- und Waffenhandel sowie Prostitution durch das Organisierte Verbrechen wurden von dieser Untersuchung gar nicht erfaßt. Zudem diktiert die Mafia die Preise im Obst- und Gemüsegroßhandel in Süditalien.

Doch nun fordern italienische Industrielle die Mafia heraus. Als Reaktion auf die immer bedrohlicheren und einschüchternden Methoden des organisierten Verbrechens kündigte der Präsident der Confindustria (Dachverband der Arbeitgeber), Luca Cordero di Montezemolo, Ende vergangenen Jahres an, alle Mitglieder, die Schutzgeld an das organisierte Verbrechen zahlen, aus dem Verband auszuschließen. Zugleich richtete er einen Appell an die Behörden, sich weit stärker als bisher um die Sicherheit zu kümmern.

Diese Kampfansage der Wirtschaft an das organisierte Verbrechen ist außerordentlich mutig. Schon einmal hatte sich zu Beginn der neunziger Jahre die Justiz gegen die Cosa Nostra aufgelehnt. Die Folge war, daß die bekanntesten Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino bei Sprengstoffanschlägen durch die Mafia in Palermo getötet wurden.

Zu den frühen Helden gehörte auch der sizilianische Unternehmer Libero Grassi, der bereits 1991 gegen die Einschüchterungsversuche des organisierten Verbrechens rebellierte: Grassi wurde erschossen. Diese neue Aktion gegen die Mafia birgt hohe Risiken - für beide Seiten. Für die Mafia geht es nämlich nicht nur um das Milliardengeschäft, sondern auch darum, ihr Gesicht zu wahren. Denn wenn die Paten den Pizzo verlieren, verlieren sie auch die Kontrolle über ihr Herrschaftsgebiet. 

Italiens Innenminister, der Sozialist und zweimalige frühere Ministerpräsident Giuliano Amato, hat die Gefährlichkeit dieser neuen Initiative erkannt und stockte die Zahl der Sicherheitskräfte im Süden durch Militär erheblich auf.

Trotz aller Risiken haben sich nach dem Aufruf des Arbeitgeberpräsidenten bereits die ersten Anti-Mafia-Vereinigungen in Palermo, Caltanisetta und auch in Neapel gebildet. Diese Industriellen sind die neuen stillen Helden im Land, denn sie stehen nun nach Richtern, Staatsanwälten und Journalisten im Visier der Mafia.

Daß die Mafia sich wehrt, zeigt der jüngste Vorfall: Im Büro des italienischen Arbeitgeberverbandes in der sizilianischen Provinz Caltanisetta wurde eingebrochen. Dort verwüstete die Mafia nicht nur die Büroräumlichkeiten, sondern entwendete gezielt  die CDs mit den Daten der lokalen Sektion sowie die Protokolle von Sitzungen über die neue Strategie des Arbeitgeberverbandes. Der Einbruch wurde als sehr ernstes Zeichen gewertet und sofort nach Rom gemeldet. Der örtliche Schutz und die Kontrollen in der Stadt wurden verstärkt.

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