© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Frisch gepresst

Gustloff I. Als Schulbuchwissen dürfte die richtige Antwort auf die Frage, welches denn die größte Schiffskatastrophe der christlichen Seefahrt sei, kaum vorausgesetzt werden. Denn auch ein jahrzehntelanges Engagement des Gustloff-Überlebenden Heinz Schön (siehe Interview Seite 3), der sogar Günter Grass nach dessen eigenem Bekenntnis 2002 zu seiner Novelle "Im Krebsgang" inspirierte, dürfte dem torpedierten Flüchtlingsschiff im kollektiven Gedächtnis der 15- bis 49jährigen wenig Platz neben der Oscar-prämierten "Titanic" erobern können. Rechtzeitig zum anlaufenden TV-Drama hat Schön nun in einem umfangreichen Werk das Schicksal der Gustloff nachgezeichnet. Ausgehend von der Kiellegung des "klassenlosen Kreuzfahrtschiffes" für den einfachen "Volksgenossen" 1936, der "Kraft durch Freude" in bislang nur der absoluten Hautevolee vorenthaltenen Gefilden wie Madeira oder Norwegens Fjorden tanken sollte, rekapituliert er die Episode als Lazarettschiff während des Krieges bis zum dramatischen Ende bei der Evakuierung der ost- und westpreußischen Zivilbevölkerung vor der marodierenden Roten Armee, die neben Marinesoldaten den Großteil der 10.582 Seelen an Bord ausmacht. Besondere Stärke des reich illustrierten Buches ist auch die Rezeptionsgeschichte im Nachkriegsdeutschland, die Schön als wahrhafter Experte bis heute begleitete (Die letzte Fahrt der Wilhelm Gustloff. Dokumentation eines Überlebenden. Motorbuch Verlag, Stuttgart 2008, gebunden, 286 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro).

Gustloff II. Auch der Focus-Autor Armin Fuhrer hat sich anhand von zehn biographischen Skizzen Gustloff-Überlebender der Tragödie genähert. Im Vergleich zum Schön-Werk kommen diese ausführlicher zu Wort und offenbaren sowohl die damalige jugendliche NS-Verführtheit der heute noch Zeitzeugenschaft Kündenden als auch die Schrecken des späten Abend vom 30. Januar 1945, an dem das Leben von 9.343 vorwiegend Frauen und Kinder in den eisigen Ostseefluten ein fürchterliches Ende fand. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, Fuhrer wolle mittels dieser ergreifenden Stimmen einem deutschen Opferkult das Wort reden, hat er neben dem fast floskelhaften Hinweis, daß "Auslöser dieser dramatischen Entwicklung Hitler-Deutschland und der von ihm entfesselte Krieg ..." war, sicherheitshalber auch noch den Bericht Martin Bergaus (JF 27/07) über ein Massaker an Juden am ostpreußischen Palmnicken angefügt, der zwar ähnliche Tragik aufweist, eine Kausalkette zur Torpedierung der Gustloff trotzdem nicht herstellen kann (Die Todesfahrt der "Gustloff". Porträts von Überlebenden der größten Schiffskatastrophe aller Zeiten. Olzog Verlag, München 2007, broschiert, 286 Seiten, 19,90 Euro).

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