© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/08 07. März 2008

Das Altern wird teuer werden
Gesundheitspolitik: Eine volkswirtschaftliche Kostensimulation bis 2037 thematisiert demographische Fragen
Jens Jessen

Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) hat zur Gesundheitsentwicklung in Deutschland eine volkswirtschaftliche Kostensimulation bis 2037 vorgelegt, die Mut machen will. Schon eingangs wird die ökonomische Bedeutung des Gesundheitssektors heute und in Zukunft betont. Nano- und Biotechnologie als Basisinnovationen spielen dabei ebenso eine Rolle wie das zunehmende Gesundheitsbewußtsein in der Bevölkerung. Die HWWI-Wissenschaftler glauben, daß zukünftige Einkommenszuwächse überproportional in Dienstleistungen und Produkte des Gesundheitswesens investiert werden.

Während sich die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Gleichschritt mit dem Bruttoinlandsprodukt entwickeln, sind es insbesondere die privaten Gesundheitsausgaben, die deutlich stärker wachsen. Damit würden sie auch in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) überproportional steigen. Innovationen im Gesundheitswesen verursachen einerseits Kosten, sie führen häufig aber auch zu einer erträglichen Verlängerung des Lebens. Der medizinische Fortschritt ist daher nur zu finanzieren, wenn mehr Geld in den Gesundheitsbereich fließt. Wird den Auswirkungen der demographischen Entwicklung nicht gegengesteuert, kommt es aber zu einem Austrocknen des finanziellen Transfers in die GKV.

Ein Element der Gegensteuerung soll die Erhöhung der Erwerbstätigkeit der Älteren und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit sein. Dann kann das Gesundheitssystem mit den Mitteln rechnen, die zur Finanzierung des medizinischen Fortschritts nötig sind. Dieser Fortschritt ist unverzichtbar, da Menschen nur länger arbeiten können, wenn sie mit einer entsprechenden physischen und psychischen Gesundheit ausgestattet werden, das heißt ihr biologisches Alter gesenkt werden kann. Das wird in der HWWI-Studie einleuchtend dargestellt.

Doch heute werden die Einrichtungen im Gesundheitswesen drangsaliert und von der Politik allein gelassen. Krankenhäuser, Ärzte, Apotheker, Arzneimittelhersteller und die Heil-/Hilfsberufe kommen mit den ihnen überlassenen GKV-Pauschalen für die Versorgung der Menschen mit präventiven und therapeutischen Maßnahmen nicht mehr klar. Die Krankenkassen leiden wie die Anbieter von Gesundheitsleistungen an der unsinnigen Budgetierung der Finanzmittel, obwohl die direkten Kosten für die Behandlung von Krankheiten wachsen. Nicht anders sieht es bei den indirekten Kosten von krankheitsbedingten Arbeitsausfällen aus. An diesen Fehltagen findet keine Bruttowertschöpfung statt.

Im Alter steigen die Fehlzeiten, zwar nicht in der Anzahl, sondern vor allem in der Dauer der Erkrankungen. Der Grund läßt sich in chronischen Erkrankungen suchen, deren Behandlung länger dauert und höhere Kosten verursacht. Eine Änderung ist nur erreichbar, wenn der Gesundheitsbereich in den Mittelpunkt der Bemühungen um die Meisterung der ökonomischen und sozialökonomischen Entwicklungen gestellt wird. Dann gibt es eine Umsetzung des medizinischen Fortschritts, der die Senkung des biologischen Alters ermöglicht. Bleibt das aus, werden die Menschen zwar auch ohne diesen Fortschritt älter. Je älter sie werden, desto weniger lebenswert wird das Leben sein.

Demenz, Herz-Kreislauf-Krankheiten, zu hoher Blutdruck oder Diabetes II und andere chronische Krankheiten lassen sich nur durch Neuerungen in der Medizin verhindern oder in ihren Auswirkungen begrenzen. Ohne Fortschritt in der Medizin wird die Verwirklichung einer längeren Lebensarbeitszeit und einer Kostensenkung im Gesundheitsbereich unmöglich. Die Voraussetzung eines vernünftigen und lebensnotwendigen Wirtschaftswachstums entfällt und ebenso die Prämisse, daß Einkommenswachstum zu überdurchschnittlichen Ausgaben für die Gesundheit führt. Zu diesem Einkommenswachstum kommt es dann nicht.

In der HWWI-Kostensimulation zur Morbitätsverschiebung, die sich auf Bevölkerungsprognosen des Statistischen Bundesamtes stützt, wird von zwei Annahmen ausgegangen: einmal bleibt der Gesundheitszustand gleich, einmal bessert er sich. Der jährliche Zuwanderungssaldo wird mit 200.000 Menschen beziffert. Über die Qualität und das Alter der Zuwanderer wird aber nichts gesagt. Die Lebenserwartung für neugeborene Jungen wird mit 83,5 Jahren (2005 76,6 Jahre), für Mädchen mit 88 Jahren (2005 82,1 Jahre) angenommen.

Die Verfasser der Simulation glauben, daß die gestiegene Lebenserwartung eine verbesserte Gesundheit widerspiegelt. Das biologische Alter wird damit - wie in dem Zeitraum von 1977 bis 2007 geschehen - um fünf Jahre verschoben. Ein 65jähriger im Jahr 2037 hätte dann einen Gesundheitszustand wie ein 60jähriger 2007. Für die Vergangenheit ist diese Hypothese bestätigt. Ursache für die Änderung des biologischen Alters war aber eine Explosion medizinischen Wissens, das den Menschen zugute kam und bezahlt wurde.

Bisher ist nicht ersichtlich, woher das notwendige Geld für die Jahre 2008 bis 2037 kommen soll. Alle Signale stehen auf rot. Die vorhandenen Ressourcen können nur einmal verteilt werden. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) setzt auf Kostensenkung. Der Klimawandel und die Rentenversicherung fressen das Geld auf. Allein 78,4 Milliarden Euro (oder 32 Prozent des Bundeshaushaltes) schoß der Bund 2007 für die Gesetzliche Rentenversicherung zu. Anfang der achtziger Jahre waren es nur zwölf Prozent. Investitionen in Innovationen im Gesundheitswesen werden deshalb beschnitten.

Der Gesundheitszustand der Bevölkerung wird sich nicht so entwickeln, wie es die Simulation darstellt. Dann kommt es noch schlimmer. Wenn die Gesundheitskosten für einzelne Altersjahrgänge bis 2037 konstant bleiben, muß sich aus der Alterung der Bevölkerung ein erheblicher Kostenanstieg ergeben. Vermeiden läßt sich der nur, wenn die Gesundheitsleistungen rationiert oder privatisiert werden. Darüber läßt sich HWWI nicht aus. Daran denkt aber das Bundesgesundheitsministerium.

Das HWWI-Policy-Paper 1-6 "Gesundheitsentwicklung in Deutschland bis 2037 - Eine volkswirtschaftliche Kostensimulation" findet sich kostenlos im Internet: http://hwwi.hwwi.net/uploads/tx_wilpubdb/HWWI_Policy_Paper_1-6.pdf

Foto: Enkelin mit Großmutter: Weiterer Kostenanstieg ist unvermeidlich

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