© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/08 07. März 2008

Ein Präsident im Weltrausch
Von Lehmann zu Parzinger: Wechsel an der Spitze der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Wolfgang Saur

Kulturpolitisch stand die letzte Berliner Woche im Zeichen wichtiger Veränderungen. In der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) endet die Amtszeit der bisherigen Führungsspitze: des Präsidenten Klaus-Dieter Lehmann und Peter-Klaus Schusters, des Generaldirektors der Staatlichen Museen. Erfolgt dessen Ablösung erst im November, nahm Lehmann schon jetzt Abschied: mit seiner zehnten und letzten Berliner Jahrespressekonferenz und freitags auf einem großen Festakt inmitten hunderter Gäste im Pergamonmuseum.

Seit 1999 Präsident der SPK, hat er jetzt den Stab an den Archäologen Hermann Parzinger weitergegeben, während er selbst zum Goethe-Institut nach München wechselt. In seinen Berliner Jahren gab es "Optionen in einem Umfang, wie sie sonst nicht in einem Jahrhundert auftreten". Tatsächlich verabschiedet sich Lehmann mit einer eindrucksvollen Leistungsbilanz.

Die SPK umfaßt eine Struktur von Museen, Archiven und Forschungseinrichtungen: die 16 Staatlichen Museen zu Berlin, die Preußische Staatsbibliothek, das Geheime Staatsarchiv, das Ibero-Amerikanische Institut und das Staatliche Institut für Musikforschung. 2.000 Mitarbeiter sind bei der SPK beschäftigt. Herausfordernd war und ist die Leitung auch der immensen Bauvorhaben wegen. So begann die Ära Lehmann 1999 gleich mit der Verabschiedung eines "Masterplans" für die Museumsinsel mit einem Bauvolumen von 1,2 Milliarden Euro. Lehmann leistete 2001 die Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie und 2006 des Bodemuseums. 2009 werden das Neue Museum und der zentrale Lesesaal der Staatsbibliothek folgen, 2012 dann das neue, jahrelang strittige Erschließungsportal der Museumsinsel. Erst dann beginnt der Umbau am Pergamonmuseum für fünfzehn Jahre, derweil in Friedrichshagen eine Speicherstadt entsteht.

Klaus-Dieter Lehmann hat in diesen Jahren souverän Verantwortung gezeigt, diplomatisch geschickt mit allen Seiten verhandelt, eloquent und energisch die Belange der Stiftung vertreten und glanzvoll die anstehenden Entwicklungen moderiert. So wurde seine Persönlichkeit, die zahlreiche Kompetenzen vereinigt, bewundernd als "Sonnenkönig" auf dem "Preußenthron" charakterisiert.

Erwartungsgemäß enthusiastisch fielen die Lobreden beim Festakt aus. Der also Gefeierte bedankte sich würdig und erinnerte an "Preußens kulturelles Erbe, das wir heute als lebendige Verpflichtung angenommen haben", an den "Staat, der die deutsche und europäische Geschichte maßgeblich mitgeprägt hat". Er empfahl, "Preußen ruhig als Ganzes" zu nehmen und resümierte: "Wir sollten uns auch nicht unsere Geschichte durch den langen Schatten der nationalsozialistischen Barbarei verstellen lassen, die dazu geführt hat, daß (...) Kunst und Kultur (...) für uns kontaminiert wurden und Geschichtslosigkeit, Desinteresse und Unsicherheit an deren Stelle traten." Vielmehr gebe es ein allgemeines "Menschenrecht nach kultureller und intellektueller Identität".

Der König ist tot, es lebe der König. Naturgemäß wenden sich jetzt die Blicke dem Nachfolger zu. Der schloß Lehmanns Verabschiedung mit einer Festrede, präsentierte sich so als neuer Chef und umriß sein Programm. Ergänzt wird es durch ein langes Interview, das Parzinger der FAZ gab.

Man hört und liest seine Worte nicht ohne Verdruß. Drei Motive dominieren: Wissensgesellschaft, historische Brüche und Multikulturalität. Parzinger bestimmt als zentrale Aufgabe der Zukunft: die Vernetzung der Stiftungseinrichtungen und die Stärkung der Forschungsanstrengungen. Die SPK "wird dann in einer Reihe mit anderen Forschungs-Großverbünden (...) stehen, und genau dort gehört sie hin." Da er - trotz gewaltiger Anstrengungen in den letzten Jahren - in der Beutekunstfrage mit Polen und Rußland realistisch kaum Spielräume sieht, hält er sich hierin diskret zurück.

Um so begieriger zieht er den Wiederaufbau des Stadtschlosses (ab 2010), das geplante "Humboldt-Forum", in seine Kombinationen. Unter den Stichworten "Kompetenz in Weltverständnis" und "Tor zur Welt", phantasiert er dessen Programm in so luftige Höhen, daß selbst der FAZ angst und bang wurde. Im Neubau sollten sich "möglichst viele wiederfinden". Die "Historizität des Ortes", die "Brüche der deutschen Geschichte", eine "neue Weltläufigkeit mit dem Blick nach außen" sollen "etwas Großartiges" schaffen. Eifrig schildert Parzinger die "Agora" des Erdgeschosses mit Veranstaltungsräumen, Gastronomie, Geschichte, Ateliers für Gegenwartskünstler und dann aufsteigend "gläserne Archive" und Wissenschaftssammlungen bis hinauf zur Ethnologie. "Im obersten Geschoß ist Raum für große übergreifende Themen - Migration, Großstädte und vieles mehr." Als der erschreckte Einwurf kommt: "Jetzt haben Sie auch noch die Ökologie (...) drin", heißt es forsch: "Auf jeden Fall." Ziemlich gelinde, zu sagen, hier entstehe ein "Gemischtwarenladen".

Parzinger hat alles und jedes im Sinn, bloß nicht Preußen und schon gar nicht die Hohenzollern, die immerhin hier residierten. Ihre Erinnerung wird vom neuen "Weltkonzept" vollständig geschluckt. Auf fatale Weise knüpft der neue Präsident an fragwürdigste Weichenstellungen der alten Führung an, ja treibt sie ins Absurde. Hat diese doch die Schließung des Standortes Dahlem definitiv entschieden: Völkerkunde und Weltkunst sollen ganz auf den Schloßplatz, die Supermega-Struktur eines "Universalmuseums" zu füttern, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Statt in den riskanten Zeiten des internationalen Terrorismus die Museenlandschaft zu dezentralisieren, schwärmt Schuster seit Jahren vom Gegenteil: die bedeutendsten Kulturgüter der Hauptstadt in Mitte zu konzentrieren.

Nicht genug, ist man der herrlichen Gemäldegalerie am Kulturform bereits überdrüssig. Auch sie soll ab nach Mitte, zur Museumsinsel. Am Kupfergraben entsteht das neue Verwaltungsareal, die Museumshöfe. Dort soll ein niegelnagelneuer Galeriebau hin. Wenn dieser "Schachzug" bloß gelänge!, hört man's schwelgen. Zunächst wäre dann dort der Gemäldebestand, im Bodemuseum die Skulpturen. Doch mittelfristig will Parzinger die Kollektionen mischen, umstrukturieren: "Gestaltung, Umgestaltung - des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung".

Unterm Strich betrachtet, tun sich hier bedenkliche Perspektiven auf. In bundesrepublikanischem Höhenrausch, einer Art von neuwilhelminischem Triumphalismus sucht man Honeckers Palast der Republik postmodern-globalistisch zu überbieten. Zweifellos stellt solche Zukunftsmusik nicht nur die protzigste, anmaßendste Variante dar, sondern auch die kostspieligste. Gleichzeitig will man alles im Fluß halten - nur keine Struktur, keine identitäre Form, keine dauernde Lösung! So bemächtigen sich maximalistischer Furor und kulturelle Diffusion gleichermaßen der preußischen Kultur-einrichtung. Ganz zu schweigen vom Schloß, das eben aufgebaut, ideell sogleich wieder verschwindet.

Warum fällt eigentlich niemand ein, das geplante Hohenzollern-Museum (früher Schloß Monbijou) eben dort aufzuziehen? Wäre auch ein Konzept.

Foto: Simulation des Berliner Stadtschlosses: "Raum für große übergreifende Themen - Migration, Großstädte und vieles mehr" (Parzinger)

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