© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/08 07. März 2008

Schicksalsgemeinschaft auf Gedeih und Verderb
Starke Verwurzelung im Deutschen: Die Ausstellung "Exil und Heimat" in Leipzig widmet sich der Emigration von Juden nach 1933
Ekkehard Schultz

Während es über die Gesetze und Maßnahmen gegen die Juden in Deutschland im Dritten Reich und schließlich den Holocaust eine kaum noch zählbare Zahl von wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten sowie Ausstellungen gibt, wird dagegen der Zwangsmigration von Juden nach 1933 in die unterschiedlichen Exilländer deutlich weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Zwar gibt es die Biographien besonders prominenter Exilanten. Für die größte Zahl der jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland sind diese Darstellungen jedoch wenig repräsentativ.

Nun wird mit der Präsentation "Heimat und Exil - Emigration der deutschen Juden nach 1933" diese Lücke geschlossen. In diesem Gemeinschaftswerk zwischen dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn und dem Jüdischen Museum in Berlin werden die persönlichen Lebensgeschichten von Flüchtlingen aus sehr unterschiedlichen Herkunftsmilieus in den Mittelpunkt gestellt. Neben der Frage, in wie viele Länder Juden aus Deutschland zwischen 1933 und 1941 gelangten und unter welchen Umständen sie kamen, liegt der Schwerpunkt auf der Beschreibung der konkreten Bedingungen in den Aufnahmeländern. Wie verhielten sich diese gegenüber den Flüchtlingen in jener Zeit? Welche Möglichkeiten zur Integration der deutschen Juden gab es und welche Stellung bekleideten diese nach einigen Jahren in den Aufnahmegesellschaften?

Um die Geschichte dieser Zwangsmigration von rund 280.000 Menschen in über 90 Länder nachvollziehen zu können, muß man sich die Tatsache vor Augen halten, daß die meisten Juden in der Weimarer Republik Deutschland als ihr Vaterland betrachteten, in dessen Kultur, Wirtschaft und Politik sie fest integriert waren. So stellten die Worte von Margarethe Goldstein bei der Ansprache in der Synagoge der Berliner Prinzresidentenstraße im März 1932: "Uns deutschen Juden ist Deutschtum eine Schicksalsgemeinschaft, in die wir seit Jahrhunderten auf Gedeih und Verderb mit dem deutschen Volke verbunden sind. ... Heimat und Glauben sind uns deutschen Juden zu unlösbarer Einheit verbunden" durchaus eher die Regel, als die Ausnahme dar.

Ansonsten waren die deutschen Juden alles andere als eine homogene Gruppe. Es gab Gewinner und Verlierer des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses, eine sehr unterschiedliche Intensität hinsichtlich der religiösen Betätigung, und die politischen Präferenzen unter ihnen reichten von streng konservativ bis linksradikal.

Besonders gut belegt wird das Selbstverständnis der Juden in Deutschland in der Tatsache, daß zahlreiche Flüchtlinge Wert auf die Mitnahme der deutschen Klassiker der Literaturgeschichte legten. Die gebundenen Ausgaben von Goethe oder Schiller zählten zu den Mitbringseln aus Deutschland, die neben privaten Fotos an erster Stelle standen. Die geflüchteten Juden waren stolz auf die in Deutschland erworbene Bildung, auf die dortigen kulturellen Traditionen. Und so sahen sie sich oft im Exil als Hüter der "wahren deutschen Kultur" - im Gegensatz zu dem aus ihrer Sicht durch das Hitlerregime geschändeten deutschen Namen.

Doch diese starke Verwurzelung im Deutschen erwies sich unter den Bedingungen der Aufnahmeländer für die jüdischen Flüchtlinge oft als großer Hemmschuh. Denn dort wurde oft das NS-Regime mit dem "Deutschen" an sich gleichgesetzt. So wurden deutsche Juden nach Kriegsbeginn zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien und den Ländern des British Empire gemeinsam mit nichtjüdischen Deutschen gleichermaßen als "feindliche Ausländer" interniert oder deportiert.

Neben der starken Identifikation mit der Herkunftskultur stellte für viele Aufnahmeländer die Wirtschaftskrise in den dreißiger Jahren und das in diesen Ländern oft nicht gefragte berufliche Profil der deutschen Juden ein großes Problem dar. Aus diesem Grund schlossen die Niederlande und die Schweiz 1938 die Grenzen für Flüchtlinge aus Deutschland. Einen Mangel an Arbeitskräften wiesen nur wenige Länder in bestimmten Wirtschaftsbereichen auf. So wurden in England Dienstmädchen gesucht. Die Türkei nahm dagegen ausschließlich hochqualifizierte Fachkräfte und Wissenschaftler auf.

Für viele Juden reduzierte sich mit der sich kontinuierlich verschärfenden Gesetzgebung im Dritten Reich - insbesondere ab Ende der dreißiger Jahre, als Juden den größten Teil ihres Vermögens in Deutschland zurücklassen mußten - die Wahl des Exils immer stärker. Denn schon aus diesem Grund kamen für viele jüdische Emigranten Länder wie Irland, Liechtenstein oder Zypern nicht in Frage, die den Nachweis größeren Vermögens verlangten.

Großzügig bei der Aufnahme von deutschen Juden zeigte sich nach 1933 in Europa fast nur die Tschechoslowakei, wo Emigranten für die Einreise nicht mehr als einen gültigen Reisepaß benötigten. Zudem reisten viele ohne gültige Dokumente illegal ein. Dort angekommen, boten die liberalen Aufenthaltsbedingungen und das Verbot der Ausweisung politisch und rassisch Verfolgter ein relativ hohes Maß an Sicherheit. Bis 1938 war trotz des Mussolini-Regimes auch Italien bevorzugtes Zufluchtsland. Von dort aus gelangten viele nach einer Übergangszeit auf dem Seeweg weiter nach Palästina, Nord- und Südamerika oder Shanghai. Bis zum Beginn des Bürgerkrieges verhielt sich auch Spanien bei der Aufnahme von deutschen Juden vergleichsweise liberal.

Ab 1938 gelangten größere jüdische Flüchtlingskontingente fast nur noch in außereuropäische Länder. Aber auch das klassische Einwanderungsland USA verhielt sich wegen wirtschaftlicher Probleme eher abweisend. So wurden etwa im Jahr 1938 300.000 Anträge auf Einreise aus Deutschland gestellt - freilich nicht nur von Juden - jedoch insgesamt nur rund 28.000 Visa bewilligt. Dagegen konnten jüdische Emigranten in den französischen und den internationalen Teil der Hafenstadt Shanghai noch bis 1941 ohne Visum einreisen. Allerdings stellten diese die dortigen schlechten allgemeinen Lebensbedingungen, das ungewohnte tropische Klima und ein sehr schwieriger Arbeitsmarkt vor größere Probleme. Direkt gefördert von den zionistischen Organisationen wurde die Ausreise nach Palästina. Aber auch dort drosselte die britische Mandatsmacht 1939 drastisch die Aufnahmequoten. In Südamerika kamen Argentinien, Brasilien, Chile und Bolivien in Betracht. Einen Ausweg bot auch die Siedlung Sosua in der Dominikanischen Republik. Der dortige Diktator Rafael Trujillo suchte Landwirte "weißer Rasse", um sein Land "aufzuhellen" - und ausgerechnet dies bot für deutsche Juden einen Ausweg. Und so wurden sie - die zuvor als Rechtsanwälte, Lehrer, Juweliere oder Ärzte gearbeitet hatten - in der Landwirtschaft tätig.

Die Ausstellung ist noch bis zum 28. März im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, Grimmaische Str. 6, zu sehen. Telefon: 03 41/22 20-121, Internet: www.hdg.de

Zur Ausstellung ist ein Katalog mit 255 Seiten zum Preis von 24,90 Euro erschienen.

Foto: Exil-Kinder vor der Tür ihrer künftigen Gasteltern in New York City (Aufnahme vom 30. Juli 1943): Ankunft in der Fremde

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