© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/08 07. März 2008

Frisch gepresst

Schüßlburner. Zum juristischen Handwerk gehört das Subsumieren. Dabei wird versucht, die "Wirklichkeit" mit Begriffen einzufangen. Oft genug geübt, schärft dieses Kunststück dann das Mißtrauen gegen Begriffe. Wie ein solches Mißtrauen ideologiekritisch fruchtbar gemacht werden kann, anhand eines schillernden Begriffs aus Zeiten des "Weltbürgerkriegs", führt der seit 1985 als Jurist im Bundesdienst beschäftigte Regierungsdirektor Josef Schüßlburner in seiner jüngsten Publikation vor: "Roter, brauner und grüner Sozialismus" (Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus, Lichtschlag Verlag, Grevenbroich 2008, broschiert, 352 Seiten, 24,80 Euro). Schüßlburner schreibt "im Interesse einer liberalen Gesellschaftsordnung", das Buch erscheint in einem Verlag, der auch ein "libertäres Manifest" feilbietet. Und die Analyse des "nationalen Sozialisten" Adolf Hitler verläßt den Pferch nicht, den der inzwischen in der Ödnis realliberaler Anlageberatung versackte Rainer Zitelmann einst zimmerte. Trotzdem geht es schließlich bei Schüßlburner noch weit weniger brav zu, wenn er im ansteckenden intellektuellen Rausch der Begriffsprüfung so brisante Kapitel aufschlägt wie "Sozialistischer Klassen-Rassismus" oder "Sozialismus und Verschwinden des Judentums".

Geschichtsreflexion. Noch bevor Peter Furth (JF 24/07) und Egon Flaig (JF 04/08) die bundesdeutsche "Vergangenheitsbewältigung" aufs Korn nahmen, wagte sich, auf der Fährte von Norman Finkelsteins provokanten Thesen zur "Holocaustindustrie", Rudolf Burger, der an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst Philosophie lehrte, auf dieses Minenfeld vor (JF 23/04). Wenn er seinen jüngsten Großessay "Im Namen der Geschichte" mit dem Untertitel "Vom Mißbrauch der historischen Vernunft" versieht (zu Klampen, Springe 2007, gebunden, 128 Seiten, 14 Euro), dann verheißt dies einen weiteren Vorstoß in die Gefahrenzone. Solche Lesererwartung erfüllt Burger diesmal jedoch nicht. Stattdessen traktiert der im Sommer 2007 emeritierte "unbequeme Intellektuelle" eine Einsicht, die schon 1914 für jeden Gymnasialprofessor, der sein Studium im Banne des "Historismus" absolviert hatte, zum Weltbildinventar zählte. Geschichte, so entdeckt auch Burger diese alte Einsicht neu, erzähle überhaupt nicht "wie es eigentlich gewesen ist". Sie diene vielmehr als "Fundus politischer Kämpfe". Ihre Begriffe, Theorien und Kategorien legitimieren oder delegitimieren nur "gegenwärtige weltanschauliche Positionen" und gießen den Lebenden die moralischen Fundamente. Ein Berliner Geschichtstheologe hat dies 1929 prägnanter formuliert: Im Medium der Vergangenheit deutet sich die Gegenwart selbst.

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