© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

"Unseriöse Propagandastudie"
Kinderbetreuung: Das Familiennetzwerk kritisiert eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, nach der Krippen die Bildungschancen erhöhen
Josef Hämmerling

Auf Kritik ist eine Studie der Bertelsmann-Stiftung gestoßen, der zufolge der Besuch einer Kinderkrippe zu größeren Bildungschancen führe und die Aussichten des Nachwuchses auf ein höheres Lebenseinkommen steigere. Dies gelte vor allem für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen, wie etwa Eltern aus dem Ausland oder mit geringer Ausbildung.

Die Untersuchung analysierte den Einfluß des Besuchs von Krippen auf  Kinder im Alter von bis zu drei Jahren. Im Auftrag der Stiftung hatte das Schweizer Büro für Arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass) mehr als eintausend in Deutschland geborene Kinder der Geburtsjahrgänge von 1990 bis 1995 unter die Lupe genommen. Von den Kindern in den betrachteten Jahrgängen haben lediglich 16 Prozent eine Krippe besucht.

Hintergrund der Studie sind die Pläne der Bundesregierung, die Zahl der Krippenplätze in Deutschland drastisch zu erhöhen. Bis zum Jahr 2013 soll nach dem Wunsch von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Zahl der Kinderkrippen auf 750.000 ausgebaut werden. Der Bund stellt den Ländern und Kommunen hierfür 2,15 Milliarden Euro zur Verfügung. Das Geld wird auf die Bundesländer entsprechend ihrem Kinderanteil aufgeteilt.

Der Studie zufolge hat die frühkindliche Bildung einen hohen Einfluß auf den späteren Bildungsweg. Für den Durchschnitt der Kinder aus den untersuchten Jahrgängen erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, von 36 Prozent auf rund 50 Prozent, wenn sie vorher eine Krippe besucht haben. Für benachteiligte Kinder liege die Verbesserung der Bildungschancen durch einen Krippenbesuch noch höher. Von diesen Kindern gingen rund zwei Drittel mehr aufs Gymnasium.

Auch der langfristige volkswirtschaftliche Nutzen durch den verstärkten Ausbau von Krippenplätzen ist nach Ansicht der Bertelsmann-Stiftung erheblich. Ein Gymnasialabschluß steigere nämlich die Wahrscheinlichkeit, ein höheres Lebenseinkommen zu erzielen. Die durchschnittliche Differenz zwischen den erwarteten Lebenseinkommen von Personen mit und ohne Abitur beträgt rund 230.000 Euro. Hiervon seien durchschnittlich fast 22.000 Euro auf Effekte des Krippenbesuchs zurückzuführen.

Die Berechnungen basieren auf Querschnittdaten für die Jahre 1996 bis 2005 des Sozioökonomischen Panels (Soep), zu Preisen von 2005. Damit würden durch den Krippenbesuch eines Kindes volkswirtschaftliche Nutzeneffekte ausgelöst, die nahezu dreimal höher seien als die entstandenen Kosten für den Krippenbesuch von rund 8.000 Euro für eine durchschnittliche Verweildauer von 1,36 Jahren.

Die Bertelsmann-Stiftung ließ auch analysieren, wie hoch der volkswirtschaftliche Nutzen einer Erhöhung der Krippenbetreuungsquote gewesen wäre. Hätten 35 Prozent der Kinder eines Jahrgangs eine Krippe besucht, wäre insgesamt ein Nutzen von durchschnittlich 2,1 Milliarden Euro pro Geburtsjahrgang entstanden.

Nach dem berechneten Szenario entgeht der deutschen Volkswirtschaft ab 2009 für die sechs untersuchten Jahrgänge damit insgesamt ein Nettonutzen von 12,6 Milliarden Euro.

Auf massive Kritik stieß diese Untersuchung dagegen beim Familiennetzwerk Deutschland, das sie als "wissenschaftlich nicht haltbare, unseriöse Propagandastudie" bezeichnete. Nach Ansicht der Vorsitzenden des deutschlandweiten Zusammenschlusses von Vereinen, Institutionen, Familien und Wissenschaftlern, Maria Steuer, ist die einzige sichere Aussage der Studie, daß Eltern, die ihr Kind in einer Krippe betreuen lassen, ihr Kind öfter an Gymnasien anmelden als Eltern, die ihr Kind
selber betreuen. Alles andere sei Spekulation.

So habe Bass zum Beispiel nicht untersucht, ob die erfolgreichen Kinder intelligenter seien als andere. Auch stehe derzeit überhaupt nicht fest, ob diese Kinder auch wirklich das Gymnasium abschließen oder etwa zu den fünfzehn Prozent gehören, die das Abitur nicht schaffen. Auch wisse niemand, ob diese Kinder später ein Studium beginnen, es erfolgreich abschließen und vor allem auch erfolgreich im Berufsleben sein werden. Dadurch sei auch der zukünftige volkswirtschaftliche Nutzen rein spekulativ, meinte Steuer. 

"Wesentliche Voraussetzung für Erfolg in Beruf und Leben ist die stabile Persönlichkeitsstruktur und die sogenannte emotionale Intelligenz", wie die Vorsitzende des Familiennetzwerks weiter ausführte. Und auch zur Erhellung dieses Zusammenhangs habe die Studie keinen Beitrag geleistet.

Foto: Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) bei der Eröffnung einer Kita: Den Nachwuchs fest im Griff

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