© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Die vielseitigen Knollen
Landwirtschaft: 2008 ist das Jahr der Kartoffel / Weltproduktion im Wandel / China inzwischen vor Europa
Harald Ströhlein

Ob Papier oder Pommes, Kosmetika oder Kroketten: Wie kein anderes natürliches Produkt bestimmt die Kartoffel unser tägliches Leben. Grund genug, das Jahr 2008 der populären Knollenfrucht (Solanum tuberosum) zu widmen. Gründe dafür, warum jetzt die Uno die populäre Knollenfrucht ins Rampenlicht rückt, gibt es viele und nicht erst seit gestern. Schon vor 8.000 Jahren stand die Kartoffel auf dem Speiseplan der Anden und gelangte im 16. Jahrhundert durch englische Seefahrer auf den europäischen Kontinent. Dort indes verzückte sie eher als Zierpflanze denn als Nahrungsmittel. In Deutschland war es schließlich Friedrich der Große, der über den "Kartoffelerlaß" den systematischen Knollenanbau etablierte und letztlich den Weg für den kulinarischen Siegeszug durch die deutschen Küchen ebnete.

Während man zu dieser Zeit im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Bauch heraus auf den Erdapfel (wie er in süddeutschen Regionen genannt wird) setzte, ist man sich heute über die ernährungsphysiologischen Vorzüge genauestens im klaren. Bekannt ist, daß die Kartoffel ein Energielieferant erster Güte ist, wenig Fett enthält und einen Eiweißgehalt aufweist, der dem von Getreide ähnelt. Sofern man beim Verzehr die Haut am Stärkekörper beläßt, liefert eine einzige Knolle mittlerer Größe etwa die Hälfte an Vitamin C, die ein Mensch am Tag benötigt. Zudem ist die Kartoffel nicht nur ein verläßlicher Lieferant diverser B-Vitamine, sondern auch von Mineralstoffen wie Kalium, Phosphor und Magnesium.

Vermutlich liegt es weniger an dem Gehaltvollen, warum eine entsprechend zubereitete Kartoffel Gourmets wie Eßbanausen gleichermaßen das Wasser im Munde zusammenlaufen läßt. Vielmehr sind es eher die nahezu unzähligen Kreationen, für die ein paar Knollen als wohlschmeckende Beilage taugen und wofür sich die Deutschen mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von knapp 70 Kilo begeistern - ob nun Kroketten oder Pommes, Klöße oder Rösti, gepellt, gebraten, püriert oder geschnitten im Salat.

Neben dem nutritiven Effekt hat sich der kleine Erdling aber auch für die Industrie zu einem Objekt der Begierde gemausert. So gilt die Kartoffelstärke von eigens dafür gezüchteten Sorten als einer der gefragtesten Agrarrohstoffe, der für Papier und Verpackung, Sprit und Schnaps, Arzneimittel und Kosmetika verwendet wird.

Angesichts dieser beispiellosen Verwendungsfähigkeit ist die Nachfrage gesichert. Auf einer Anbaufläche von 276.000 Hektar und mit einem gegenüber dem Vorjahr um fast 16 Prozent höheren Ertrag aufgrund günstiger Witterungsbedingungen wurden 2007 gut 11,6 Millionen Tonnen Kartoffeln eingefahren. Nach den unerbitterlichen Gesetzen des Marktes ist aber auch der Preis für die Erzeuger gefallen: Lag er noch vor einem Jahr bei mehr als 20 Euro je 100 Kilo, sind es dieser Tage keine zwölf. Doch mit diesen launigen, spontanen Preisturbulenzen kann ein den freien Marktwind gewohnter Kartoffelbauer gut leben. Sorgenfalten sollte  ihm eher das über Jahrzehnte stagnierende Preisniveau bereiten.

Der Verkaufserlös ist demnach im Vergleich zu den Verbraucherausgaben eklatant gesunken: Lag dieser Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bei fast 60 Prozent, ist er im vergangenen Wirtschaftsjahr auf unter 16 Prozent gefallen. Anders verdeutlicht: Um sich ein Kilogramm Kartoffeln leisten zu können, mußte ein Arbeitnehmer zur damaligen Zeit noch sechs Minuten arbeiten; heute sind es vier.

Zudem sprechen die Kräfte des Weltmarktes eine rauhe Sprache. So hat sich die Weltproduktion mit einem Volumen von mehr als 320 Millionen Tonnen in den zurückliegenden Jahren markant verschoben. In den letzten beiden Dekaden verringerte sich die Kartoffelernte in den Industriestaaten um jährlich ein Prozent, während sich der Anteil an  der Weltproduktion in den Entwicklungsländern von etwas über 20 auf über 50 Prozent mehr als verdoppelte. Innerhalb von nur zehn Jahren mußte Europa seine Rolle als global führender Kartoffelproduzent an China abtreten. Mit einer Jahresproduktion von derzeit über 60 Millionen Tonnen wird auf europäischem Boden nur noch knapp ein Fünftel der Welternte abgedeckt.

Auch in Deutschland hat sich die Anbaufläche nennenswert reduziert, und zwar in den vergangenen fünfzehn Jahren um mehr als die Hälfte. Gleichwohl liegt der hiesige Kartoffelmarkt mit einem Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent in fester Hand. Noch - denn glaubt man den Marktexperten, könnte künftig eine Zunahme von Billigimporten (von der etablierten Einfuhr von Frühkartoffeln einmal abgesehen) die deutschen Kartoffelbauern in arge Bedrängnis bringen. Dabei werden derzeit nur etwa sechs Prozent der Jahresweltproduktion auf internationaler Bühne gehandelt, und es hat den Anschein, daß sich daran auch nichts ändern wird. Denn zum einen hätte es angesichts hoher Transport- und damit verbundener Kühlkosten kaum ökonomischen Sinn, Kartoffeln zwischen aller Herren Länder zu bewegen.

Zum anderen sind es Handelsrestriktionen wie etwa protektionistische Einfuhrzölle auf Kartoffelprodukte sowie strenge Reglementierungen mit phytosanitärem Hintergrund, die einen florierenden Welthandel untergraben. Aber das muß auch nicht zwingend sein. Die Kartoffel ist ubiquitär - von arktischen wie subarktischen Gefilden einmal abgesehen, wächst und gedeiht sie wie keine andere Kulturpflanze fast überall auf der Welt. Und das ist auch gut so, denn eine vor allem in den Entwicklungsländern rapide wachsende Menschheit wird mehr denn je auf bodenständige Grundnahrungsmittel angewiesen sein.

Foto: Rheinische Kartoffelkönigin Eva Yzerman: Regional verwurzelt

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen