© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

CD: Neofolk
Experimente
Dominik Tischleder

Gregorio Bardini ist ein in Deutschland leider noch viel zu unbekannter Experimentalmusiker und Musikwissenschaftler aus Südtirol. Am ehesten kennt man ihn im Neofolk-Bereich, was damit zusammenhängt, daß er vor Jahren mit Tony Wakeford (Sol Invictus) auf der Bühne musizierte, einem der zentralen Musiker dieser Subkultur. Ende der achtziger Jahre war Bardini zusammen mit Musikern aus dem Umfeld der ebenfalls einschlägig bekannten Kirlian Camera Teil des Projekts Kino Glaz, deren einziges, nur auf Vinyl erhältliches Album "Al Passo Con L'Arcangelo" einen gewissen esoterischen Ruf unter Kennern genießt, weil auf diesem teils sakral-religiös, teils südeuropäisch folkloristisch anmutenden Album erstmalig ein geistiger Bezug zu dem Traditionalisten Julius Evola hergestellt wurde, heute eine oft erwähnte und weniger oft verstandene Bezugsgröße in diesem Musikbereich.

Bardini veröffentlicht seit den Neunzigern in großen Abständen Solowerke, auf denen er mit verschiedenen Flöten brilliert. Oft sind diese dem Ambient-Bereich zuzuordnen, d. h. meditative Klangflächen, die nicht dem Zwecke dienen, vordergründig zu unterhalten, sondern raumfüllend, aber doch im Hintergrund eine subtile Wirkung beabsichtigen. Vor knapp zwei Jahren schuf Bardini dem höchst selten interpretiertem armenischen Mönch und Komponisten Komitas Vardapet (1869-1935), zu dem er auch ein Buch publizierte, ein musikalisches Denkmal. Komitas' Name ist untrennbar mit dem armenischen Unabhängigkeitskampf gegen das Osmanische Reich verknüpft, weil er trotz Deportation im Zuge des Völkermords an den Armeniern überlebte; ein Teil seiner Liedersammlung indes nicht. "Komitas" bietet ein wunderbares Beispiel für die eindringlich-melancholische Flötenmusik der Bergregionen zwischen Georgien, Kurdistan und dem einst persischen Aserbaidschan.

Ende 2007 erschien nun in dem israelischen Verlag The Eastern Front mit "Sentinelle del Mattino" ein neues Bardini-Werk, welches wieder stärker zum Neofolk tendiert. Vertont wurden hier zwei deutsche Gedichte der in Breslau geborenen und heute in Rom lebenden Lyrikerin Christine Koschel, einst eine enge Freundin Ingeborg Bachmanns. Einen Gastauftritt präsentiert Bardini gleich zu Beginn: Mary de Rachewiltz (geb. 1925), Tochter von Ezra Pound, liest auf sehr anrührende Weise aus der "Cantos"-Dichtung ihres Vaters vor. Rachewiltz, selbst eine Lyrikerin, ist vor allem durch die unter dem Titel "Diskretionen" (bei Suhrkamp) publizierten Erinnerungen an ihren Vater bekannt geworden, zu dem sie, aufgewachsen bei Pflegeeltern, erst spät eine vertraute Beziehung entwickeln konnte. Ezra Pounds Originalstimme ist dann im kurzen "With Usura" zu hören.

Dennoch ist "Sentinelle del Mattino" kein Konzeptalbum um ein klar bestimmbares Thema, eher erweckt es atmosphärisch und auch durch Titel wie "Zalmoxis", "Batschka" (eine Zusammenarbeit mit dem deutschen Projekt Bleiburg) und "Worms" den Eindruck eines sehr persönlichen Albums, kreisen Bardinis Gedanken doch seit jeher um Themen wie Kaisertum, die Ostkirche, antike Mythen oder das alte Südtirol. "Sentinelle del Mattino" ist musikalisch sicher das bisher abwechslungsreichste Bardini-Album: meditative, ernste, geschichtsbewußte Musik, die dadurch, daß Flöte, Stimme, Klavier und Akustikgitarren eher fragmentarisch zu Gehör kommen, experimentellen Charakter hat. Gerade die letzten Stücke des Albums, die durch Männergebrüll und moderne Elektronik einen expressionistischen Stil verfolgen, zeigen dies deutlich.    

Gregorio Bardini: Sentille Del Mattino, The Eastern Front, www.theeasternfront.org; ders.: Komitas, Arx Collana, E-Post:bardini.g@dnet.it

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