© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Schütterzone
Politische Zeichenlehre XLIV: Panslawische Farben
Karlheinz Weissmann

Die dominierenden Farben bei den Protestdemonstrationen gegen die Abtrennung des Kosovo in Belgrad sind das Rot, Blau und Weiß der serbischen Nationalflagge. Aber wer genauer hinsieht, entdeckt auch die Kombination Weiß-Blau-Rot aus der russischen Nationalflagge. Das ist nicht verwunderlich, da Rußland zu den wenigen Staaten gehört, die Serbien gegen die Separation des Kosovo unterstützen. Das Nebeneinander hat aber auch zu tun mit dem Ursprung der serbischen in den russischen Farben.

Rußlands weiß-blau-rote Trikolore geht zurück auf eine bereits 1699 eingeführte Handelsflagge. Der Entwurf stammte von Zar Peter dem Großen und erinnert nicht zufällig an den niederländischen Dreifarb. Tatsächlich hatte sich der Zar inkognito in den Niederlanden aufgehalten, um das Handwerk des Schiffszimmermanns zu erlernen; seine Bewunderung der führenden Seemächte der Zeit brachte er dadurch zum Ausdruck, daß er von Großbritannien das Andreaskreuz in verwechselten Farben für die Kriegsmarine übernahm (also Blau auf Weiß) und von den Niederlanden die Handelsflagge kopierte, allerdings die Folge Rot-Weiß-Blau zu Weiß-Blau-Rot verschob.

Bis zum 19. Jahrhundert waren diese Farben nur als russische von Bedeutung. Das änderte sich mit dem aufkommenden Nationalismus der bis dahin staatenlosen Völker des ostmittel- und osteuropäischen Raums. Der verband sich mit der Vorstellung von Rußland als Beschützer der kleineren slawischen "Brudervölker", die es sowohl gegen das Osmanische Reich wie gegen die Habsburger verteidigen sollte, und mit der Idee einer "allslawischen", das heißt "panslawischen" Bewegung, die die russischen als ihre Farben betrachtete.

Der Panslawismus war sehr stark von romantischen Vorstellungen bestimmt und wirkte keineswegs attraktiv bei jenen, die unter direkter russischer Herrschaft standen wie Polen oder Ukrainer, die deshalb auch niemals die panslawischen Farben annahmen. Er wirkte um so anziehender, je unwahrscheinlicher eine direkte russische Einflußnahme schien oder je deutlicher Rußland seine Funktion als Protektor wahrnahm. So im Fall Serbiens, das 1835 gegründet wurde und, obwohl noch dem Osmanischen Reich tributpflichtig, eine eigene Flagge in den Farben Rot-Blau-Weiß wählte. Dasselbe Muster übernahm kurz darauf Montenegro, es folgten die Kroaten, die seit 1840 ihren Kampf um größere Selbständigkeit in der Donaumonarchie unter einer rot-weiß-blauen Fahne führten.

Die panslawischen Farben spielten auch eine Rolle im Konflikt zwischen Tschechen und Deutschen im österreichischen Kronland Böhmen, wo sie die Anhänger der Eigenstaatlichkeit als Gegensymbol zum "pangermanischen" - "alldeutschen" Schwarz-Rot-Gold ansahen. Slowaken und Slowenen kopierten in der Zeit des östlichen Völkerfrühlings die russische Flagge sogar ohne jede Änderung, während Bulgarien 1878 nach Erlangen seiner Unabhängigkeit eine weiß-grün-rote Nationalflagge annahm, ohne sich damit vom panslawischen Gedanken abzuwenden; Grün galt ausdrücklich als Freiheitsfarbe.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erlangten die Kroaten ihre Unabhängigkeit, gingen allerdings sofort in einem von Serbien dominierten jugoslawischen Gesamtstaat auf, der eine blau-weiß-rote Flagge zeigte. Neben Jugoslawien entstand als zweite Neugründung in der "Schütterzone" Ostmitteleuropas die tschechoslowakische Republik mit einer weiß und rot geteilten Flagge, aufgelegt ein blaues Dreieck zur Mastseite.

Während des Zweiten Weltkriegs zerfielen beide Staaten, ohne daß das die Kontinuität der panslawischen Farben in Frage gestellt hätte, und nach 1945 wurden nicht nur die Staatsverbände Jugoslawiens und der Tschechoslowakei unter kommunistischer Ägide restauriert, man führte auch die Landesfahnen der Zwischenkriegszeit wieder ein; im Fall Jugoslawiens nur ergänzt um einen roten Sowjetstern.

Dann kam mit dem Zerfall des Ostblocks das Ende dieser Nationalitätenstaaten, und die auf ihren Trümmern entstandenen Nationalstaaten griffen sofort wieder auf ihre überlieferten Symbole zurück: Kroatien, Montenegro, Serbien, Tschechien, die Slowakei und Bulgarien zeigen heute wieder die traditionellen Flaggenmuster, die alle die panslawischen Farben variieren.

Abschließend sei noch erwähnt, daß auch die in Deutschland als nationale Minderheit lebenden Sorben oder Wenden die Panslawischen Farben benutzen: ihre Fahnen sind blau-rot-weiß.    

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen