© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Kritische Walzerträume
Ausstellung über frühe Tonfilm-Operetten in der Deutschen Kinemathek
Harald Harzheim

Experimente zur Entwicklung des Tonfilms sind so alt wie das Kino selbst. Daß es zu seiner Durchsetzung Jahrzehnte bedurfte, läßt sich weder technisch noch durch Vorbehalte mancher Kritiker, sondern vorwiegend ökonomisch begründen. Umrüstung der Lichtspielhäuser auf Tonfilmapparatur, Entlassung der großen Begleitorchester, all das schien unwirtschaftlich.

Es war ein Musical, das den Tonfilm schließlich durchsetzte: "The Jazz Singer" (1927). Populäre Broadway-Hits, bis dahin nur durch Radio oder Schallplatte erlebbar, zogen nun via Tonfilm durch die ganze Welt. Deutsche Produzenten vom Schlage Erich Pommers und Komponisten wie Werner Richard Heymann setzten dem die Tonfilmoperette entgegen. Diesem Genre, das im zeitgenössischen Berliner Kabarett wurzelt und zwischen 1929 und 1933 zur künstlerischen Blüte gelangte, hat die Berliner Kinemathek ihre aktuelle Ausstellung gewidmet.

Der Besucher betritt darin eine versunkene Kultur: An den Wänden hängen farbig-prickelnde Plakate mit Stars in frivolen Posen; Vitrinen zeigen Starpostkarten, Atelierfotos und Dekorationsentwürfe. Außerdem verglaste Schreine, in denen originale Schneidetische, Projektoren, Saallautsprecher oder Grammophone jener Zeit zu bewundern sind. Zwischen diesen Ausgrabungen: Monitore und Mini-Kinosäle, in denen Szenen aus "Die Drei von der Tankstelle" (1930), "Der Kongreß tanzt" (1931), "Ich bei Tag und du bei Nacht" (1932) oder "So ein Mädel vergißt man nicht" (1933) das Cineasten-Herz erfreuen. In einer pathetischen Rede von 1929 begrüßt der Schriftsteller Fritz von Unruh den Tonfilm als neues Werkzeug zur "Erziehung zum Menschen" - illusorische Hoffnungen, die Schiller bereits für das Theater hegte.

Jedoch: Selbst wenn die Tonfilmoperette nicht den pädagogischen Zeigefinger hob - verklärende Harmlosigkeit, die Paul Hörbiger mit seinem Gesang "Wir sehen die Welt, wie man sie gerne sieht" suggeriert, war ihr gleichfalls fremd. Denn hinter den Walzerträumen, süßen Mädeln und Gaga-Liedern hagelte es politische Seitenhiebe. Zeitthemen wie Weltwirtschaftskrise, unfähige Sicherheitskräfte, Geschlechterfragen oder Homosexualität fanden ihre schwach getarnte Verulkung. Schauplatz der Handlung war seltener ein Kulissen-Wien als die moderne Großstadt. Aus deren Bevölkerung rekrutierten sich die Helden dieser Filme: Automechaniker, Sekretärinnen, Anstreicher, Gangster und ewige Verlierer.

Auch die Nationalsozialisten bekamen ihr Fett weg. Noch 1935 riskierte Reinhold Schünzel in "Amphytrion" durch den Untertitel - "Aus den Wolken kommt das Glück" - mitsamt szenischem Zitat eine Parodie auf Hitlers Stilisierung in "Triumph des Willens" (1934), an dessen Beginn sein Flugzeug pathetisch aus dem Wolkenhimmel zur Erde eilt. Um solche Bezüge zu erkennen, bedarf es wohl des historischen Abstands. Denn zeitgenössische Kritiker ließen sich nicht einmal durch Lieder wie "Wir zahlen keine Miete mehr" von der Realitätsnähe dieser Streifen überzeugen, sondern fürchteten politische Verblödung des Publikums.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten ließ die Tonfilm-Operette langsam, aber sicher ausbluten. Ihre Macher emigrierten nach Hollywood, und das amerikanische Musical profitierte davon.

Die Ausstellung versteht die Tonfilm-Operette als "Ausdruck der Widersprüchlichkeit dieser Jahre", als Seismograph ihrer politisch-sozialen Kultur. Heute, mit siebzig, achtzig Jahren Abstand, bestätigen diese frühen Tonfilme auch jene Feststellung, die Andrzej Zulawski in "La Femme publique" (1984) machte: "Weißt du eigentlich, was der tiefere Sinn eines jeden Films ist? Er soll die Erinnerung an unsere Toten bewahren. Es ist das einzige Mittel, das wir erfunden haben, damit unsere Toten weiterleben." Liane Haid, Lilian Harvey, Margarete Schlegel, Jenny Jugo, Käthe von Nagy - alle längst verstorben, aber hier quatschen, singen, spielen sie lustig weiter. Erst der Tonfilm konnte diesen Eindruck von Unsterblichkeit überzeugend vermitteln.

Man geht hinaus auf die Straße und wundert sich, daß der Besuch im Jenseits so belebend war.

Die Ausstellung "'Wenn ich sonntags in mein Kino geh'. Ton - Film - Musik 1929-1933" ist bis zum 27. April in Berlin in der Deutschen Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Potsdamer Straße 2, zu sehen. Der Ausstellungskatalog (176 Seiten mit CD) kostet 18,90 Euro.

Foto: Lilian Harvey und Willy Fritsch, Wien 1930: Hier quatschen, singen, spielen unsere Toten lustig weiter

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