© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Supermuttis und ein Lehrer mit Auszeit
Zwei Bücher bewerten die Rolle des Elternhauses in der Kindererziehung höchst unterschiedlich
Ellen Kositza

Lotte Kühn? Ach ja: diese Publizistin mit eigentlich ganz anderem Namen, die vor zwei Jahren mit ihrem "Lehrerhasserbuch" eine erhitzte Diskussion angestoßen hatte. Noch heißer war es für Frau Kühn geworden, nachdem ihr Pseudonym (durch die Lehrerin eines der "Kühn"-Kinder) enttarnt worden war. Nun sprach nicht nur die ganze Republik von der wortgewaltigen "Lehrerhasserin", sondern, logisch, vor allem das schulisch-private Umfeld.

Kühn alias Gerlinde Unverzagt tourte durch die Titel, Talkshows und Themenabende, während die vier Kinder der Alleinerziehenden in ihrer Berliner Heimat ein peinliches Spießrutenlaufen zu bewerkstelligen hatten. Lotte Kühn hat dabei in der Tat einiges zu sagen. Ihr Publikationsverzeichnis (Ratgeber zu Kinder- und Jugendthemen) ist beträchtlich, ihre Bücher - bei allen Abstrichen zugunsten einer meinungsfreudigen Pointiertheit - sind fundiert und lesenswert. Das war beim "Lehrerhasserbuch" nicht anders. Hier hatte Kühn die Spaß- und Kuschelpädagogik, überforderte und faule Lehrer ins Visier genommen. Dem Thema ist die Siebenundvierzigjährige auch in ihren Folgebänden "Elternsprechtag" und "Schulversagen" treu geblieben.

Nun kann einer so wachen und belesenen Journalistin nicht entgehen, daß der Urgrund elterlichen Frusts nicht allein im Versagen der Institution Schule gesucht werden kann. Darum sind diesmal die Mütter selbst dran. Kühn hat es auf den nach eigener Auffassung grassierenden Typus der "Überengagierten" abgesehen. Deren ungebremster Brutpflegetrieb erzeuge Streß und Perfektionswahn, den sie im Dauerwettbewerb mit anderen "Muttertypen" zu kompensieren suche. Derart lieferten sich nicht nur Karrieremütter ein Hennenrennen mit Hausfrauen, gleichfalls sieht die Autorin Einkindmütter im Clinch mit Mehrkindmüttern, Impf- gegen Alternativmütter, Bastel-, Back-, und Nähmütter gegen Kaufhausmütter und so fort. Sie alle eine "die Sorge, etwas falsch gemacht, versäumt oder total verbockt zu haben".

Dem Treibsatz aus Schuldgefühl und Konkurrenzdenken helfe zusätzlich das "Verunsicherungskartell" aus Hebammen, Ärzten, Lehrern und Sonntagsrednern nach. Wer, wenn nicht die Mutter, werde als Schuldige ausgemacht, wenn "aus süßen kleinen Babies motzende, magersüchtige, kiffende, rechtsradikale und gewalttätige Teenager" werden? Verhungert ein gemüsefeindliches Kind, weil die Mutter nicht bereit ist, aus "winzigen Radieschen kleine appetitanregende Mäuschen zu basteln"? Wie nachhaltig leidet die junge Seele, wenn Mutter sich nicht der Zumutung fügt, eine Stunde beobachtend neben einem Hundehaufen zu knien?

Kühn sieht den Muttermythos in der Reformation wurzeln, und seither werde zunehmend an den Bedürfnissen der Mütter vorbeigeredet. Selbst die Emanzipation habe die "Mutterideologie" nur um ein "aufgeklärtes Matriarchat" bereichert, in dem der Vater zur Nichtsnutzigkeit verurteilt worden sei.

Kühn schöpft bei ihrem Plädoyer für mütterliche Gelassenheit gründlich aus der Literatur und mehr noch aus eigenen Erfahrungen und Beobachtungen. Scharfzüngig und recht treffsicher werden Muttertypen wie die hennarote Ökomama karikiert: "Magst du mal nachspüren, Finn, ob du nicht wirklich noch ein Dinkelbrötchen willst?" Ganz allgemein zeugt es von einer besonderen Kunstfertigkeit, ein Thema, das einen Großartikel prall füllen würde, auf die Länge eines umfangreichen Buches auszudehnen, ohne den Leser zu langweilen. Kühn hat mehr oder weniger die Mutterschaftsthesen ausgewiesener Feministinnen wie Clara Zetkin, Betty Friedan oder Herrad Schenk auf ein pragmatisch-konsensfähiges Niveau heruntergebrochen. Souverän beherrscht sie ihr Instrumentarium: Analyse und Giftspritze kommen gleichermaßen zum Einsatz, ohne daß die bitterste Galle hochkäme, wie es in den Neunzigern bei Dorothea Dieckmanns ätzender Schmähschrift "Unter Müttern" der Fall war.

Festgehalten werden muß, daß diese Mütterumschau keinesfalls ein vollständiges Panoptikum abgibt. Kühns Analyse ist ganz und gar dem städtischen, westdeutschen Mittelschichtmilieu verhaftet. Allein dort mag zutreffen, daß Mama jeden am Monatsende übriggebliebenen Euro lieber für Kinderkram ausgibt, anstatt sich mal selbstherrlich eine Maniküre zu gönnen. Im Osten und auf dem Lande glitzern dagegen die mütterlichen Nägel - von pädagogischem Ehrgeiz keine Spur. Hier handhabt man Kühns Empfehlung traditionell: erziehungs- und betreuungstechnisch wird der Staat in die Pflicht genommen.

Die Stimme eines der pädagogisch verantwortlichen Staatsdiener gibt ein anderes Buch wieder: Lothar Grün nennt sich (hallo, Anspielung!) ein Herr, der zwei Jahre nach dem "Lehrerhasserbuch"-Erfolg den Mut besitzt, eine "Antwort" auf ebenjenes zu schreiben. Wir dürfen sagen: Es ist ein trauriger Mut. Der Mensch ist angeblich Lehrer, angeblich Vater zweier Kinder und hat sich angeblich ein Jahr von seinem Beruf freistellen lassen, um ein kleines Büchlein zu verfassen, bei dessen Lektüre man nicht so recht weiß: lachen oder weinen? Alles muß hier im Angeblichen verbleiben: sogar die Belobigung auf der Titelrückseite "Grün hat Mut. Er schreibt öffentlich das, was viele Kollegen nicht zu sagen wagen" stammt von einem angeblichen "Oberstudienrat, der anonym bleiben möchte".

Herr Grün (angeblich gar Deutschlehrer) hat weder Stil oder Schreibtalent noch überhaupt Argumente für sein Anliegen. Er hat aber eines: eine ganz große Wut im Bauch. Das erschwert es natürlich zusätzlich, die Worte im Zaum zu halten. Schließlich ist ihm soviel Unsägliches widerfahren an "Dumm- und Doofheiten" in seinem Lehrberuf. Zum einen wären da die Schüler, "die so viele Hormone produzieren, daß der Klassenraum nur mit einer Nasenklammer betreten werden kann". Einmal hatte es Grün mit einem gewalttätigen Schüler zu tun. "Glücklicherweise" gelang es dem Lehrer, "ihn mit der Faust am Kinn zu treffen, und der jugendliche Koloß kippte nach dem gut geführten Schlag nach hinten. Ich hatte ihn voll getroffen, und es hatte übel geknackt. (...) Gern hätte ich es gesehen, wenn ich ihm den Kiefer gebrochen hätte, doch die Verletzungen waren weit geringer."

Lehrer Grün läßt sich halt nichts sagen - und das auf hundertachtzig Seiten, die seinem Dauerpuls entsprechen dürften. Und erst die Eltern! Grün läßt sie als "Angela Wiegefälltdirmeinslip", "die Alte" etc. auftreten. Wenn so eine dieser Mütter ankommt (mit "hübschem Gesicht" zwar, aber "Hängebusen und Fischgeruch") und ihm (nach Grüns zweifelhafter Auslegung) Sex für gute Noten anbietet, dann schaltet er auf stur. Auch wenn die Mutter ihn ("das weiß ich aus sehr zuverlässiger Quelle") hernach zum "Arschloch der Woche" erklärt! Ob hier ein verirrter Pädagoge die Sau rausgelassen hat oder der Mist in den Redaktionsstuben der Titanic gewachsen ist - wir wissen es nicht. Jedenfalls: Altpapiertonne oder Psychiater.         

Lotte Kühn: Supermuttis. Eine Abrechnung mit überengagierten Müttern. Knaur Taschenbuch Verlag, München 2008, broschiert, 240 Seiten, 7,95 Euro

Lothar Grün: Der Elternhasser. Die Antwort. Ein Lehrer schlägt zurück. Schick-Verlag, Leverkusen 2007, broschiert, 186 Seiten, 12,50 Euro

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