© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

Aufstand der Basis
Von den Amtskirchen ist kein Heil mehr zu erwarten. Rettet das Kirchenvolk den Protestantismus?
Christian Vollradt

Als sich 1976 der DDR-Pfarrer Oskar Brüsewitz mit Benzin übergoß und anzündete, klagte er für alle sichtbar den Kommunismus und dessen Christenverfolgung an. Viel eindringlicher noch richtete sich seine Mahnung an die von ihm angeschriebenen Brüder und Schwestern, seine Mitchristen also: Die Amtskirche, die sich selbst als eine "Kirche im Sozialismus" dem ihr prinzipiell feindlich gesonnenen Regime anbiederte, habe einen "Scheinfrieden" geschlossen und so ihren Auftrag im "Kampf des Lichts gegen die Finsternis" verweigert. Die Lauheit in den eigenen Reihen stellt eine noch größere Herausforderung dar als die von außen gegen die christliche Gemeinschaft gerichteten Anfechtungen.

Der in Deutschland öffentlich-rechtlich organisierten "Volkskirche" läuft selbiges davon. 1983 bis 2003 verzeichneten die evangelischen Landeskirchen in Westdeutschland einen Mitgliederschwund in Höhe von 3,4 Millionen.

Das Erscheinungsbild stimmt traurig: Überalterung im Gottesdienst, abnehmende Kasualien, aber weiterhin ein Flickenteppich aus Gliedkirchen, die alle auf ihrer Eigenständigkeit samt etablierter Bürokratie und Hierarchie beharren. Weit weniger um Erhaltung ringend geht es bei den Gemeinden zu: Auf dem Lande wird munter zusammengefaßt, so daß kaum noch "die Kirche im Dorf bleibt". In Mitteldeutschland - geographischer Ursprung und historischer Kern der Reformation - sind ganze Landstriche entkirchlicht. Manche Großstadt zieht mit diesem traurigen Trend gleichauf: Nicht einmal mehr die Hälfte der Hamburger gehört einer der beiden großen christlichen Kirchen an. Gut gefüllte Gotteshäuser gibt's wenn überhaupt nur bei musikalischen Events, wenn Restbestände bildungsbürgerlichen Kulturchristentums kurz aufleben. Soweit die eigene Lage.

Herausgefordert wird die europäische Christenheit - so sie sich überhaupt als eine solche versteht - von einem ungleich offensiver auftretenden Gegenüber. Aktuell in Mode ist ein "bekennender" Atheismus, dem Religion grundsätzlich veraltet, gefährlich oder zumindest verdächtig-unaufgeklärt erscheint. Der Buchmarkt zeugt davon genauso wie das ihm hinterhertrottende Feuilleton. Wo noch vor kurzem die synkretistisch nachfrageorientierte "Suche nach Gott" dominierte, ist es jetzt die wiederaufgewärmte These "Gott ist tot"; mal naturwissenschaftlich, mal philosophisch, häufig moralisch. Eine vehemente Antwort der Amtskirche blieb bislang aus. Sicher ist diese Form der Heimsuchung auch eine untergeordnete gegenüber der eines anderen Konkurrenten auf dem "Markt" der Weltanschauungen und Religionen.

Den hiesigen Kirchenschließungen oder -umwidmungen gegenüber steht der Bau zunehmend repräsentativer Moscheen, die mit Fug und Recht die häufig verwendete Bezeichnung "Fatih" im Namen führen - zu deutsch "Eroberer".

Den müde und alt gewordenen Christen zeigt sich der Islam in der Tat als die frischere Glaubensgemeinschaft: mit Zulauf durch Einwanderung und höhere Geburtenraten, die Fremde erobernd durch Vitalität, ohne den eigenen Wahrheitsanspruch relativierende Skrupel, selbstbewußt und geradezu anmaßend, wo es gilt, die eigenen Religionsgesetze und -praktiken durchzusetzen.

Die Kirche reagiert an ihren Spitzen meist gleichlautend: Verständnis wird dem Fremden entgegengebracht, sein Anliegen unterstützt - Ja zu islamischem Religionsunterricht, Begrüßung des neuen Moscheebaus und wenn es hakt: die Bedeutung des interreligiösen Dialogs herausstreichen. Der Missionsauftrag ("Machet zu Christen alle Völker") gilt höchstens noch in einer inhaltlich zur Unkenntlichkeit verformten Version, wo von den Ankömmlingen ein "Bekenntnis zum Grundgesetz" erwünscht wird. Die Deutschen mahnt man zu Offenheit und Toleranz; wer gegen Minarett und Muezzin-Ruf aufbegehrt, ist ein Störenfried und muß mit kirchlicher Geißelung rechnen: Inquisition unter umgekehrten Vorzeichen.

Wer auf die offizielle Kirchenführung setzt, der braucht sich keine Hoffnung auf eine Änderung der Lage zu machen. Denn Anzeichen für eine Umkehr sind nicht zu erkennen. Die eigene Schwäche scheint dort eher als eine pekuniäre Herausforderung begriffen zu werden, der man mit dem Zauberkasten moderner Ökonomie zu begegnen habe: Management statt Markus-Evangelium. In Zukunft soll man sich auf Zielgruppengemeinden orientieren, je nachdem, was wo gerade gefragt ist. Das "Produkt" muß zeitgemäß "verkauft" werden, dann klappt's schon.

Die Hoffnung richtet sich eher auf die Basis, denn es gibt Anzeichen für ein Aufbegehren "von unten". Da sind - um nur ein Beispiel zu nennen - die engagierten Christen der Bielefelder Paul-Gerhard-Gemeinde, die ihrem eher bürgerlichen Hintergrund zum Trotz zum drastischen Mittel der Kirchenbesetzung griffen, als vom Landeskirchenamt der Verkauf ihres Gotteshauses durchgesetzt werden sollte. Ohne Strom und von offizieller Seite scharf gemaßregelt verharrte man und siehe da: Es fanden sich mehr Besucher zu den improvisierten Gottesdiensten ein als vorher. Dieses Signal, daß sich Widerstand lohnt, wird nicht durch den Umstand entwertet, daß der Verkauf schließlich doch erfolgte.

Wer über den deutschen und sogar europäischen Tellerrand hinausschaut, wird feststellen, daß dort, wo der "Mainstream"-Protestantismus an Attraktivität abnimmt, Denominationen Zulauf erhalten, die eine "harte Konfession" propagieren. Wo dem Gläubigen mehr abverlangt wird an Geld, Gebet und Gehorsam, scheint auch der "Lohn" - Geborgenheit, Gemeinschaft, Gewißheit - größer zu sein.

Das schreckliche Martyrium des Oskar Brüsewitz blieb zunächst ohne Folgen. Der dem Christentum feindlich gesonnene Kommunismus aber wurde als Herrschaftssystem schließlich hinweggefegt; auch durch Mitwirkung einzelner widerstandsbereiter Christen, nicht von den Aposteln der an die Verhältnisse angepaßten "Kirche im Sozialismus".

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