© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

Geschichtspolitik
Putzfimmel von Saubermännern
Dieter Stein

Deutschland kommt nicht zur Ruhe. Es leidet unter einer ins Wahnhafte gesteigerten, hypertrophen Vergangenheitsbewältigung. Banal ist die Erkenntnis, daß es Vergangenheit gibt, die nicht vergeht. Doch fehlt völlig jedes Maß. Mit bürokratischem Eifer, den man im Deutschen doch stets zu Recht als überwindungswürdig angesehen hat, wird ohne Befehlsnotstand und ohne äußeren Druck ein Säuberungsunternehmen exekutiert, das alles aus dem Bild der Öffentlichkeit tilgen soll, was vermeintlich "positiv" an das "dunkelste Kapitel" der deutschen Geschichte erinnern soll.

Nachdem die Bundeswehr nahezu alle Bezüge zur Wehrmacht und Reichswehr gelöscht hat, wie sie in den Namen von Kasernen zum Ausdruck kamen, die an vorbildliche, tapfere Offiziere der Weltkriege erinnerten, ist man auch in vielen Städten dabei, Straßennamen zu streichen, die an Generäle des Ersten Weltkrieges, an Fliegerasse erinnerten, vor denen sich auch Kriegsgegner immer verneigt haben.

So ist man gerade dabei, die letzten Bezeichnungen auszuradieren, die an den Reichspräsidenten der Weimarer Republik, Paul von Hindenburg, erinnern. In Trier verabschiedet sich jetzt nach jahrelangen Auseinandersetzungen das Hindenburg-Gymnasium von seinem Namen. Der Name passe nicht zum Profil einer europäisch ausgerichteten Schule, sagte der örtliche Vorsitzende der CDU-Fraktion, die sich zuvor immer gegen die Umbenennung gesperrt hatte.

In Marburg wird darauf gedrungen, das Grab Hindenburgs nicht mehr als "Sehenswürdigkeit" zu empfehlen. Seit mehr als 60 Jahren ruhen im Nordturm der Elisabethkirche die sterblichen Überreste des Reichspräsidenten. 1946 hatte die amerikanische Besatzungsmacht durchgesetzt, daß die vor der Roten Armee aus Ostpreußen geretteten Särge des ehemaligen Generalfeldmarschalls und seiner Frau Gertrud in Marburg ihre letzte Ruhe finden sollten.

Hindenburg (1847-1934) spielte als letzter Weimarer Reichspräsident keine rühmliche Rolle, das ist unstrittig. Sein Name bleibt verbunden mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Aber auch mit der Rettung Ostpreußens in der Schlacht von Tannenberg. Zu Recht fordert niemand die völlige Beseitigung aller Namen, die an Kommunisten erinnern. Die Relationen stimmen nur nicht. Noch heute gibt es in Mitteldeutschland über 500 Karl-Marx-Straßen und 613 Straßen mit dem Namen des KPD-Chefs Ernst Thälmann.

Es ist selten, daß Stimmen der Vernunft durchdringen. 2003 beklagte Götz Aly den "geschichtspolitischen Putzfimmel", als in Berlin Hindenburg die Ehrenbürgerwürde aberkannt werden sollte. Geschichtspolitik dürfe "nicht von rückwärtsgewandten Saubermännern beherrscht werden", forderte der Historiker, der bekanntlich kein Freund der Rechten ist. Das so linksliberale Freiburg im Breisgau besann sich immerhin unter einem grünen Bürgermeister und beerdigte im selben Jahr langjährige Pläne zur Säuberung seines "Heldenviertels", das seit 1934 an Orte und Namen des Ersten Weltkrieges erinnert. Doch nicht nur hier ist fraglich, ob die Vernunft siegt.

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