© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

Jeder sechste Industriearbeitsplatz ging verloren
USA: John McCains Eintreten für den Freihandel und das Nafta-Abkommen könnte die Republikaner die Präsidentschaft kosten
Patrick J. Buchanan

Der häufigste Fehler in der Politik besteht laut Lord Salisbury darin, "am Kadaver toter Politikmaßnahmen festzuhalten". An diese Regel des britischen Premierministers (1886-1892 und 1895-1902) denkt man unweigerlich angesichts von John McCains Freude über die Vergabe des Milliarden-Auftrags zum Bau der nächsten Generation von Tankflugzeugen für die US-Luftwaffe an die europäische Airbus-Muttergesellschaft EADS.

Aus dem Auftragswert von vierzig Milliarden US-Dollar könnten bis zu hundert Milliarden werden - und der Todesstoß für Boeing im Duell mit Airbus. Zwei Drittel aller Luft-Luft-Tankflugzeuge werden von den USA genutzt. Der Vertrag mit Airbus verschafft dem auslaufenden Modell A330 ein "zweites Leben" und bedeutet das Aus für das US-Konkurrenzmodell Boeing 767. Der republikanische Präsidentschaftskandidat beglückwünschte sich dazu, Korruption in der Boeing-Bewerbung aufgedeckt zu haben, und fügte hinzu: "Ich habe stets darauf bestanden, daß die Luftwaffe ihre wichtigen Waffenkäufe durch gerechten und offenen Wettbewerb tätigt."

Wenn McCain glaubt, die EADS verdanke ihr Gedeihen "gerechtem und offenem Wettbewerb", hat er ein kurzes Gedächtnis. In den ersten 25 Jahren seiner Firmengeschichte verkaufte Airbus 770 Flugzeuge - ohne einen Cent Profit zu machen. Als sozialistisches Kartell aus der Taufe gehoben, wurde das Unternehmen mit kräftigen Finanzspritzen von den Regierungen Spaniens, Frankreichs, Großbritannien und Deutschlands am Leben gehalten, um den US-Flugzeugbauern den Markt streitig zu machen.

So wurden Lockheed und McDonnell-Douglas aus dem zivilen Luftfahrtgeschäft verdrängt, ein Schicksal, dem Boeing bislang knapp entgehen konnte. McCain freilich vertritt die Ansicht, die Vernichtung amerikanischer Arbeitsplätze sei von nachrangiger Bedeutung. Wichtiger sei es, "die bestmöglichen Waffensysteme herzustellen bei minimalen Kosten für den Steuerzahler".

Wenn McCain tatsächlich der Meinung ist, daß die Kosten in der Rüstung den Ausschlag geben - müßte er dann nicht auch die Produktion von US-Truppentransportern, Fregatten und U-Booten in die ausländischen Werften verlagern, die unsere Handelsschiffe bauen? Warum schlägt er nicht vor, ausländische Matrosen als Besatzung anzuheuern und auszubilden? Oder die Tausende von Arbeitsplätzen in US-Regierungsbehörden an Zeitarbeitsfirmen in Bangladesh und Indien zu vergeben? Die Neocons wollten schließlich auch ausländische Söldner für Amerika in den Krieg schicken und sie mit der US-Staatsbürgerschaft belohnen, wie es die Römer in den letzten Tagen ihres Imperiums machten.

Was bedeutet es überhaupt noch, Amerikaner zu sein? Zwanzig Jahre hat es gedauert, bis den republikanischen Sturköpfen der Wahnwitz offener Grenzen bewußt wurde. Die 80 Prozent US-Bürger, die eine Amnestie für Illegale ablehnen und einen Grenzzaun befürworten, sind keineswegs allesamt "bigott", wie McCains getreuer Kumpan, Senator Lindsey Graham aus South Carolina, behauptet. Müssen wieder 20 Jahre vergehen, bis den Republikanern endlich dämmert, wieviel ökonomisches Unheil sie angerichtet haben und auf welchen politischen Ruin sie zusteuern mit ihrem fanatischen Glauben an den "Freihandel", während der Rest der Welt mit seinem Merkantilismus unser Land plündert?

"Ich fahre inzwischen einen hybridangetriebenen Lexus"

Wenn Europa eine 15prozentige Mehrwertsteuer auf US-Importe draufschlägt bei gleichzeitigem Erlaß der Mehrwertsteuer auf Exporte in die USA, dann ist das kein freier Handel. Wenn China seine Währung um 45 Prozent abwertet wie 1994 geschehen, um Arbeitsplätze und Produktionsstätten aus den USA abzusaugen, ist das kein freier Handel. Wenn Japan den Yen manipuliert, seiner Bevölkerung Wirtschaftsnationalismus predigt und den eigenen Markt für Fernseher, Autos und Stahl schützt, während es unseren überflutet und erobert, ist das kein freier Handel.

McCain gibt zu, von Wirtschaft so gut wie keine Ahnung zu haben, und läßt sich nun von Jack Kemp beraten, der einst in einer Wall Street Journal-Tirade gegen meine Haltung eingestand: "Ich gehöre dem Beratungsausschuß von Toyota North America an und fahre inzwischen einen hybridangetriebenen Lexus." Freilich ist der frühere American-Football-Profi, Ex-Vizepräsidentschaftskandidat und langjährige Kongreßabgeordnete keineswegs der einzige US-Politiker, der eine neue Heimat bei einer ausländischen Firma gefunden hat. Ex-Staatssekretäre, frühere Senatoren, Kongreßabgeordnete und Präsidentenberater verdienen sich goldene Nasen bei ausländischen Firmen, die US-Arbeitsplätze, Technologie, Märkte sowie Fabriken - und damit Amerikas Zukunft - wegnehmen.

Womöglich jedoch wird der multinationalen Republikanischen Partei das Lachen bald vergehen. In Bundesstaaten wie Ohio, wo ein großer Anteil der insgesamt 3,5 Millionen Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie angesiedelt waren, die durch die Bush/McCain/Kemp-Politik einer einseitigen Abrüstung im Handelskrieg verlorengingen, ist das Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko (Nafta) längst ein Schimpfwort.

Es genügt ein Blick auf die Bilanz von George W. Bushs Wirtschaftspolitik, für die auch John McCain als republikanischer Präsidentschaftskandidat steht: ein Außenhandelsdefizit in Höhe von vier Billionen Dollar, davon 2,5 Billionen im Produktionsgewerbe, wo jeder sechste Arbeitsplatz verlorenging; Kredite in Höhe von zwei Milliarden Dollar pro Tag für den Kauf von Importwaren; der Kollaps des Dollar; der vierhundertprozentige Anstieg des Goldpreises auf eintausend Dollar pro Unze; der Anstieg des Ölpreises auf 107 Dollar pro Barrel und des Benzinpreises, der bald die Vier-Dollar-Grenze pro Gallone erreicht.

Unter Bush entstanden monatlich durchschnittlich 46.000 neue Stellen in der Privatwirtschaft - Vorgänger Bill Clinton war mit 220.000 Arbeitsplätzen fünfmal so erfolgreich. Bei den Demokraten konnte sich Hillary Clinton jüngst in Ohio klar gegen ihren Konkurrenten Barack Obama durchsetzen, indem sie den seinerzeit von ihrem Ehemann ausgehandelten Nafta-Vertrag kritisierte. McCain dagegen hat seine Nominierung zwar in der Tasche. Ob dem loyalen Nafta-Befürworter das Glück aber hold bleibt, wenn es am 4. November um den Einzug ins Weiße Haus geht, steht auf einem anderen Blatt. Wie sagte Lord Salisbury so schön?

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift "The American Conservative".

Foto: Präsidentschaftskandidat McCain, Airbus 330: Außenhandelsdefizit in Höhe von vier Billionen Dollar

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