© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

CD: Oper
Pietätvoll
Jens Knorr

Eine seltsame Krankheit ist ausgebrochen: Die Soldaten können sich nicht mehr totschießen, die exekutierten Attentäter bleiben am Leben. Tausende ringen mit dem Leben, um sterben zu können. Weil der Kaiser den Krieg aller gegen alle verkündet hat, zerbricht der so verhöhnte Tod sein Schwert. Das Land fällt in Chaos, der Kaiser in Wahnsinn. Der Tod erklärt sich bereit zurückzukehren, wenn der Kaiser sich bereit erklärt, als erster zu sterben. Der Kaiser nimmt Abschied vom Leben.

Die Oper hat ein Anthroposoph komponiert, der von 1931 bis 1933 eine anthroposophische Buchhandlung in Stuttgart betrieben hatte. Die Oper komponierte er im Sammel- und Durchgangslager Theresienstadt, wohin er im September 1942 deportiert worden war. Infolge des seit den Endsiebziger Jahren aufgeflammten Interesses an im Dritten Reich verbotener oder verdrängter - "entarteter" - Musik wurden auch die Musiker und Komponisten des Ghettos Theresienstadt wiederentdeckt: Pavel Haas, Hans Krása, Gideon Klein und Viktor Ullmann, der betont hat, in seiner "musikalischen Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht etwa gehemmt" worden zu sein.

Von Ullmanns zwischen 1942 und 1944 in Theresienstadt komponierten Werken, die fragmentarischen eingeschlossen, sind 33 erhalten geblieben. Sein 1943 entstandenes Spiel in einem Akt "Der Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung" (op. 49) wurde nach Wiederentdeckung und später Uraufführung, 1975 in Amsterdam, in den Rang eines Klassikers erhoben. Es eröffnete die Edition "Entartete Musik", eine Serie von CD-Einspielungen bei DECCA, die das Interesse an den Werken verfolgter Künstler aufzufangen sucht, das die kommentierte Rekonstruktion der Düsseldorfer Ausstellung "Entartete Musik" seit 1988 geweckt hatte.

Die Einspielung durch das Gewandhausorchester Leipzig unter Lothar Zagrosek vom Februar 1993 lohnt das Wiederhören allemal (DECCA 440 854-2), auch wenn die verwendete Fassung von der neueren Forschung überholt worden ist, die sich in den neunziger Jahren endlich vom Betroffenheitskult zur Wissenschaftlichkeit vorzuarbeiten begann. Die Einspielung bezieht ihre Wirkung zuvörderst aus dem Wissen um die Entstehung des Spiels. Wie um nichts falsch zu machen, belassen es Zagrosek und die Solisten bei pietätvollem, zagendem Vollzug des Komponierten. Doch wer nichts falsch macht, macht auch nichts richtig. Vernichtung und Totschweigen des Komponisten ist ja noch lange kein Ausweis der Qualität seiner Kompositionen. Also drängt sich - wie schon bei Lektüre der verschwatzten und offenbar unlektorierten Ullmann-Biographie von Verena Naegele, die 2002 erschienen ist - die Frage vor, ob Ullmanns Kompositionen nicht auch dann dem Vergessen anheimgefallen wären, wenn ihrem Schöpfer ein gelinderes Schicksal beschieden gewesen wäre?

Danach erscheint Viktor Ullmann als mittleres Talent, immer auf Tuchfühlung mit der musikalischen Avantgarde, vor den Ansprüchen an ein Komponieren im 20. Jahrhundert in anthroposophisch grundierte "Gefühlskunst" flüchtend, dessen labile psychische Disposition seine künstlerische Potenzen eher hemmte denn freisetzte - außer in Theresienstadt. Könnte darin begründet liegen, daß im Konzertleben wenig eindrückliche Spuren hinterlassen hat, was im Zuge der Ullmann-Renaissance ausgegraben und aufgeführt wurde? Hat es seine verdiente Chance nicht reichlich genug bekommen?

Wie wäre die Kunst des Ghettos anders zu hören denn als "Ghettokunst"? Das Spiel vom "Kaiser von Atlantis" wurde noch vor seiner ersten Aufführung in Theresienstadt verboten, Viktor Ullmann mußte am 16. Oktober 1943 auf Transport nach Auschwitz gehen

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