© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

Attentate, die die Welt veränderten
Ein Sammelband widmet sich der politischen Gewalt auf dem Weg zum weltweiten Phänomen
Michael Wiesberg

Die Erwartungen, mit denen man den von dem Zeitgeschichtler René Ortner (Universität Innsbruck) und dem Politologen Michael Gehler herausgegebenen Sammelband "Von Sarajewo zum 11. September. Einzelattentate und Massenterrorismus" in die Hände nimmt, werden leider nicht erfüllt. Das Buch ist das Kompilat von Beiträgen eines Seminars der beiden Herausgeber, das im Wintersemester 2002/03 an der Universität Innsbruck stattfand. Der Fokus liegt auf fünfzehn politisch motivierten Anschlägen des 20. Jahrhunderts, die einmal auf ihre Motivation und Ausführung, auf die Biographien von Tätern und Opfern und zum anderen auf die Wirkungsgeschichte der Anschläge hin untersucht werden.

Der Bogen spannt sich dabei von dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand über die Ermordung Walther Rathenaus, das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944, die Erschießung John F. Kennedys, die Geschichte der Roten Armee Fraktion, die Attentate des Befreiungs-Ausschusses Südtirol, die Ermordung Aldo Moros, die Erschießung Itzhak Rabins bis hin zum 11. September 2001, mit dem nach Ansicht der Autoren das Zeitalter des "postmodernen Massenterrorismus" eingeleitet worden ist. Um die Vergleichbarkeit der verschiedenen Attentate zu gewährleisten, folgt die Behandlung der Fallbeispiele einem festgelegten Schema.

Eingeleitet wird der Band von René Ortner, das Resümee, wenn man so will, stammt von Michael Gehler. Ortner fokussiert die Begriffe "Attentate", "Terror" und "Terrorismus"; Michael Gehler versucht den Band mit einem historischen Abriß und einer Einordnung des Phänomens Terrorismus vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute zu arrondieren. Ziel dieses Beitrags ist neben der Rekapitulation und Analyse der in diesem Band behandelten Anschläge unter anderem auch die Beantwortung der Frage, welche Handlungsstrategien der "postnationalen Staaten (des Westens)" gegen den "postmodernen Massenterrorismus" Erfolg versprechen.

Leider, dieser Eindruck drängt sich bereits nach den ersten Seiten auf, wurde auf ein Lektorat offensichtlich verzichtet. Ein Verzicht, der sich negativ auf die Lektüre auswirkt, erschweren doch zuweilen stilistische Ungeschicklichkeiten und orthographische Fehler das Verständnis. Die Sorgfalt, die hier vermißt wird, setzt sich dann inhaltlich in manchen Beiträgen des Bandes fort. Als Entschuldigung mag man anführen, daß viele dieser Beiträge von den Studenten des Seminars stammen und damit ein Spiegel des Niveaus sind, das diesem hochkomplexen Thema leider nicht immer gerecht werden kann. Oft macht sich hier und da die manchmal überaus schmale Literaturbasis negativ bemerkbar, so zum Beispiel in Zusammenhang mit den Ereignissen und der Bewertung des 20. Juli 1944 oder des 11. September 2001.

Gerade im Hinblick auf den 11. September ist zu beklagen, daß die Autorin wichtige Primärquellen offensichtlich nicht kennt oder nicht zitiert (so zum Beispiel den Bericht der Untersuchungskommission zum 11. September 2001) und die komplexe Diskussion um die Einordnung der Anschläge nur ansatzweise wiedergibt. Wie auch, wenn sich ihr "ausgewähltes Literaturverzeichnis" gerade einmal aus vier Büchern zusammensetzt und das Quellenverzeichnis fast ausschließlich aus Internetverweisen und Zeitungsartikeln besteht? Ein Manko im übrigen, das auch andere Beiträge durchzieht.

Das ist zu bedauern, weil hin und wieder doch so etwas wie eigenständiges Denken aufblitzt, das politisch-korrekte Leitplanken verläßt - so zum Beispiel in Zusammenhang mit der Bewertung des 20. Juli 1944. Hier wird unter anderem die Frage ventiliert, ob es den Anglo-Amerikanern wirklich um "die Befreiung Deutschlands" ging oder nicht doch eher darum, die "deutsche Vormachtstellung in Europa zu verhindern". Daß wohl eher letzteres der Fall war, belegt die Erleichterung, mit der man zum Beispiel im Londoner Außenministerium die "Säuberungsmaßnahmen" nach dem 20. Juli 1944 kommentierte: "Gestapo und SS leisten uns einen hoch einzuschätzenden Dienst durch die Beseitigung all jener, die nach dem Krieg zweifellos als gute Deutsche posiert hätten. (...) Es kann nur zu unserem Vorteil sein, wenn die Verfolgungen andauern, da die Tötung von Deutschen durch Deutsche uns in Zukunft Peinlichkeiten aller Art ersparen wird."

Dieser Enthauptungsschlag in Form vieler Todesurteile, den Hitler nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 führen konnte, wirft ein trübes Licht auf Akteure wie zum Beispiel Henning von Tresckow, der davon überzeugt war, daß das Attentat gewagt werden müsse - koste es, was es wolle. Es hat denn auch gekostet, und zwar das Leben von maßgeblichen Repräsentanten des deutschen Konservativismus, die nach dem Krieg dringend als Regulativ gegen die "re-education" gebraucht worden wären. Ob die mörderischen Konsequenzen eines fehlgeschlagenen Attentats Stauffenberg, Tresckow und den anderen Verschwörern des 20. Juli 1944 in allen Konsequenzen klar waren? Leider wird auch dieser Frage wie vielen anderen nur ansatzweise nachgespürt.

Unter dem Strich bleibt festzuhalten, daß der Sammelband keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse liefert. Das muß er auch nicht zwingend, wenn statt dessen eine überzeugende Analyse und Synthese bisheriger Diskussionslinien erkennbar wäre, die hier aber auch nur in Ansätzen zustande kommt. So unterläßt es Gehler zum Beispiel, sich mit der instruktiven Arbeit "Die neuen Kriege" (2002) des Politologen Herfried Münkler auseinanderzusetzen. Gerade Münkler bemüht sich schließlich darum, dem von Gehler so genannten "postmodernen Massenterrorismus" eine kohärente Deutung zu geben. Münkler zählt den Terrorismus zu den "neuen Formen des Krieges", wobei Warlords, Söldner und Terroristen den Ton angeben. Dieses Defizit der Nichtrezeption Münklers steht pars pro toto und verdichtet den Eindruck, daß die Anschaffung dieses nicht gerade preiswerten Sammelbandes eher nicht lohnt.

Foto: Attentat auf Reichsaußenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922 in Berlin-Grunewald: Das politische Attentat als frühe Form des heutigen "postmodernen Massenterrorismus"

Michael Gehler, René Ortner (Hrsg.): Von Sarajewo zum 11. September. Einzelattentate und Massenterrorismus. Studien Verlag, Innsbruck 2007, gebunden, 512 Seiten, Abbildungen, 54,90 Euro

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