© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/08 28. März 2008

Ratlose Zauberlehrlinge
Globale Finanzkrise: Wenn Banken in Not geraten, soll der Steuerzahler einspringen
Michael Paulwitz

Was ist schon das Ausrauben einer Bank, verglichen mit dem Verzocken einer Bank? Selbst ausgewiesenen Marktliberalen fließen kapitalismuskritische Brecht-Sarkasmen derzeit flüssig aus der Feder. Ratlos stehen die Zauberlehrlinge des globalen Zockertums vor der größten Finanzkrise seit Kriegsende. Während ihre außer Kontrolle geratenen Besen all die schönen Kartenhäuser abräumen und Buchgeld in Billionenhöhe in den Papierkorb fegen, rufen sie in ihrer Not nach dem alten Meister Staat, den sie eben noch kastrieren und im Keller einsperren wollten.

Wenn selbst ein Josef Ackermann nach staatlichen Interventionen ruft, dann muß die Lage wohl ernst sein. Überraschen darf das niemanden. Das Perpetuum mobile gibt es nun mal nicht. Märchenhafte Gewinne mit fiktivem Geld bleiben für die meisten Mitspieler eben - märchenhaft. Am Ende muß einer die Zeche bezahlen, und zwar in realem Geld.

Die Lernresistenz der Akteure ist erstaunlich. Auch die dritte große Finanzkrise in weniger als einem Jahrzehnt versucht die amerikanische Notenbank mit demselben Rezept zu bewältigen, das bislang nur die Abstände von einer Spekulationsblase zur nächsten immer kürzer werden ließ: Durch Überflutung der Märkte mit billigem Geld. Die USA leisteten sich nicht nur eine Scheinblüte des Binnenkonsums auf Pump, sondern dazu noch einen kostspieligen Krieg. Früher hätte man dafür die Notenpresse angeworfen, heute schöpft man fiktives Buchgeld. Die Ergebnisse sind die gleichen: Geldentwertung, Inflation. Ein wankendes Bankensystem und der galoppierende Wertverlust des Dollar sind die Zutaten für ein explosives Gebräu, das zum Zusammenbruch des globalen Finanz- und Währungssystems führen kann. Die Krise steht erst an ihrem Anfang. Die Beschwichtigungen, zu Jahresende oder nächstes Jahr werde es wieder aufwärtsgehen, sind Zwischenstände mit Verfallsdatum.

Längst sind die Auswirkungen auch in Deutschland zu spüren. Wackelige Banken, die beim großen Zockerspiel mitdilettiert haben, müssen mit Milliarden an Steuergeldern gestützt werden. Klamme anglo-amerikanische Finanzinvestoren melken ihre deutschen Kühe - ProSiebenSAT1, die Gagfah-Immobiliengruppe, den Herrenausstatter Boss. Auftrags- und Verkaufszahlen sinken, weil rezessionsgeplagte Amerikaner nicht mehr ihr Haus beleihen können, um einen BMW zu kaufen. Und die Dollar-Inflation läßt die Gewinne der Exporteure schmelzen wie Butter in der Sonne.

Die Beteuerungen, Deutschland werde die Krise schon nicht so schlimm treffen, weil die deutsche Wirtschaft vergleichsweise "gut aufgestellt" sei, können vor diesem Hintergrund kaum beruhigen. Das mittelständische Rückgrat unserer Volkswirtschaft ist nicht wegen, sondern trotz der nationalen politischen Rahmenbedingungen noch vergleichsweise stabil. Die Umverteiler, die rot-grünen wie die schwarz-roten, ruhen sich noch immer auf dem Lorbeer des "Exportweltmeisters" aus. Weil das Auslandsgeschäft gut läuft, langt man im Inland mit fiskalischen und gesetzlichen Schikanen zu. Bereits die ersten Auswirkungen der globalen Finanzkrise lassen spüren, wie schnell dieses Konto überzogen ist.

Die eingeforderte staatliche Unterstützung wird den Einfluß der Politik auf den wankenden Finanzsektor stärken. Ist das eine gute Nachricht? Ein Staat, der das Falsche tut, ist kaum segensreicher als ein Nachtwächterstaat, der alles laufen läßt. Verstaatlichung von Banken, wie sie die Kommunisten fordern, wird mit Sicherheit nicht die Lösung sein - schließlich waren es hierzulande gerade die von Politikern kontrollierten öffentlichen Banken, die sich als erste und am gründlichsten verspekuliert haben. Doch selbst wenn die Aufsicht verschärft oder riskante Praktiken künftig untersagt werden sollten, sind die Ursachen der Verwerfungen damit noch lange nicht bekämpft.

Die Vertrauenskrise ist nämlich eine mehrfache. Verlorengegangen ist nicht nur das Vertrauen in eine Finanzbranche, in der sich offenkundig gierige Spieler tummeln, die auf der Jagd nach irrealen Profiten eiskalt darauf spekulieren, daß sie ihre Gewinne selbst einstreichen und ihre Verluste, wenn's schiefgeht, der Allgemeinheit aufdrücken können. Verloren ist auch ein Gutteil Vertrauen in das Verantwortungsbewußtsein von Politikern, die lieber den Einflüsterungen der Lobbyisten glauben als den Warnungen der Skeptiker und deshalb von jeder Krise aufs neue kalt überrascht werden.

Längst verspielt ist auch das Vertrauen der Bürger in einen Staat, der in seiner Unersättlichkeit den vielgescholtenen Finanzjongleuren kaum nachsteht; der sich seiner Verantwortung als Garant von Recht, Sicherheit und Eigentum zunehmend entzieht und konsequentes Durchgreifen nur dort erkennen läßt, wo seine eigenen fiskalischen Interessen auf dem Spiel stehen. Dabei hat der Staat doch vor allem die Aufgabe, die eigenen Bürger zu schützen. Er darf nicht tatenlos zusehen, wie skrupellose Profiteure die geltenden Regeln unterlaufen, ahnungslosen Kreditnehmern das Fell über die Ohren ziehen oder gesunde Unternehmen zerlegen und ausweiden.

Die Wiederherstellung des verlorengegangenen Vertrauens beginnt bei der Rückeroberung der Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns. Der Glaube der Bürger an Rechtsstaatlichkeit und Vertragssicherheit wird nicht etwa allein durch vermeintlich vom Himmel gefallene "Heuschrecken" erschüttert. Untaugliche Gesetze, die Mißstände verschlimmbessern, statt sie zu beseitigen; eine als ungerecht empfundene Steuer- und Abgabenerhebung, die den Arbeitenden bestraft und den Leistungsträger in die Flucht treibt; das eklatante Mißverhältnis zwischen der Eintreibung eigener Forderungen und der Erfüllung öffentlicher Verpflichtungen: Vorbilder, die die Risiken und Folgen ihres Handelns nicht auf die Allgemeinheit abwälzen, sind auch in der Politik dringend gesucht.

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