© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/08 28. März 2008

"Richtig kluge, pfiffige Leute"
Hamburg: Annäherung zwischen CDU und Grünen / Streit über Kohlekraftwerk, Elbvertiefung und sechsjährige Grundschule
Josef Hämmerling

Schlechte Vorzeichen für die mögliche schwarz-grüne Koalition in Hamburg  - zumindest nach der Farbenlehre: Denn danach wirkt Schwarz-Grün "negativ, dämonisch und böse". Und genau das gleiche befürchten viele Beobachter auch für die Hansestadt - besonders, was die beiden Knackpunkte der Verhandlungen anbelangt: die Schul- und Energiepolitik. Die Vorwürfe lauten, die CDU komme den Grünen von der Alternativen Liste (GAL) zu sehr entgegen, um an der Macht zu bleiben.

Koalitionsverhandlungen waren notwendig geworden, nachdem die CDU bei der Wahl am 24. Februar die vier Jahre zuvor errungene absolute Mehrheit verlor und nur noch auf 42,6 Prozent der Stimmen kam. Die SPD erreichte 34,1 Prozent, die Grün-Alternative Liste 9,6 Prozent und die Linkspartei 6,4 Prozent. Die FDP scheiterte mit 4,7 Prozent an der Fünf-Prozent-Klausel. Nach ersten Gesprächen einigten sich CDU und GAL auf Koalitionsverhandlungen.

Der entscheidende Punkt ist die Energiepolitik. Die GAL besteht auf dem Stopp des Baus des Kohlekraftwerks Moorburg und legt sich fest: Mit dem Kraftwerk keine Koalition. Dagegen forderte ein mächtiges Bündnis - bestehend aus der Norddeutschen Affinerie, dem Aluminiumwerk Trimet, dem Hafenkonzern HHLA und der Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie - die CDU auf, standhaft zu bleiben. In einem offenen Brief verweisen die vier Vorstände auf die Umweltfreundlichkeit des geplanten Kraftwerks. Auch ein Bau in Brunsbüttel anstatt Moorburg sei keine Alternative; durch den langen Leitungsweg würden 175 Millionen Kilowattstunden Strom verlorengehen, dies entspreche dem Verbrauch von etwa 70.000 Haushalten.

Bei der CDU gibt es aber durchaus Befürworter eines Baustopps: nämlich dann, wenn die GAL ihre bisherige Verweigerungshaltung bei der Elbvertiefung aufgibt - ohne Ausbaggerung der Elbe können die Containerschiffe der neuesten Generation nicht in den Hamburger Hafen einlaufen. Ein derartiger Handel könnte aber fatale Folgen für die Hamburger Wirtschaft haben: Moorburg ist ein milliardenschweres Investitionsprojekt mit massiven Auswirkungen auf die Hansestadt. Und sollte dies zur Manövriermasse werden, sind  negative Konsequenzen auf die Investitionslandschaft allgemein in Hamburg nicht ausgeschlossen.

Auf Kritik stoßen auch die bisher bekanntgewordenen Annäherungen von CDU und GAL bei der Schulpolitik. Der Deutsche Philologenverband kritisierte über Ostern das vorgesehene Modell der sechsjährigen Grundschule: Erst nach der sechsten Klasse sollen die Eltern nunmehr entscheiden, ob ihre Kinder auf eine der neu entstandenen Stadtteilschulen oder auf das Gymnasium wechseln. Durch die Ausweitung der Grundschule drohe "eine institutionalisierte Unterforderung leistungsstärkerer Schüler", wie es sie bereits in Berlin und Brandenburg gebe, sagte Verbandsvorsitzender Heinz-Peter Meidinger. Untersuchungen zeigten schon vor Jahren: Die Leistungen von Schülern nach sechsjähriger Grundschulzeit sind erheblich schlechter als die von Schülern, die bereits nach dem vierten Schuljahr auf ein Gymnasium wechselten. Dieser Kritik schloß sich auch der Hamburger Bildungsforscher Rainer Lehberger an.

Nach den ersten Verhandlungsrunden sieht es aber ganz danach aus, daß es zur ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene in der Geschichte der Bundesrepublik kommen wird: CDU-Bürgermeister Ole von Beust lobte "die menschlich sehr unkomplizierte Atmosphäre". CDU-Landeschef Michael Freytag meinte, in der GAL gebe es "richtig kluge, pfiffige Leute", auch stimme "die Chemie" untereinander. Optimistisch gab sich ebenfalls die GAL-Parteivorsitzende und Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk; sie erklärte im typischen Politiker-Deutsch: "Wir sind bei der Organisation des Prozesses zur Lösung strittiger Fragen ein ordentliches Stück weitergekommen."

Nun geht es in die zweite Runde der Koalitionsverhandlungen. Hauptthemen neben Moorburg und der Elbvertiefung: Humanisierung des Strafvollzugs und Entschärfung des laut CDU "knackigsten" deutschen Polizeigesetzes. Bis Mitte April hoffen die beiden Parteien auf eine Einigung, wobei letztendlich "die Gesamtschau" entscheide, so von Beust und Hajduk. Viele sehen aber bereits jetzt die Grünen als Sieger dieser Verhandlungen. Bestätigt wird dies durch eine Aussage eines grünen Delegationsmitglieds gegenüber der taz zu den bisherigen Ergebnissen: "Deutlich mehr, als wir der SPD hätten abringen können."

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