© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/08 28. März 2008

Alles andere als eindeutig
Gedenkpolitik: Das vom Bundeskabinett beschlossene "Sichtbare Zeichen" wird von Koalitionspolitikern ganz unterschiedlich bewertet
Peter Freitag

Am Mittwoch vergangener Woche hat die Bundesregierung eine lang erwartete Entscheidung getroffen. Sie beschloß den Aufbau der Dokumentationsstätte "Sichtbares Zeichen gegen Flucht und Vertreibung" . Sie wird als Stiftung unter dem organisatorischen Dach des Deutschen Historischen Museums im Berliner "Deutschlandhaus" angesiedelt werden und soll sowohl eine Dauerausstellung umfassen  als auch Räumlichkeiten für wechselnde Ausstellungen bieten.

Auf 29 Millionen Euro schätzt die Bundesregierung die Kosten für die Einrichtung des "Sichtbaren Zeichens", der Unterhalt ist mit jährlich 2,4 Millionen Euro veranschlagt. "Im Vordergrund stehen Flucht und Vertreibung der Deutschen insbesondere aus den ehemaligen Ostgebieten während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber auch die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen in West und Ost sowie deren Aufbauleistungen werden gewürdigt", gab Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) bekannt, der gemeinsam mit Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) maßgeblich das Konzept des "Sichtbaren Zeichens" vorbereitet hatte.

Man wolle sich jedoch "nicht nur auf die deutschen Vertriebenen konzentrieren", heißt es in einer Mitteilung des Bundeskabinetts, sondern "auch die gesamteuropäischen Aspekte von Vertreibung bis zur Gegenwart" darstellen. Es gehe außerdem vorrangig um "eine angemessene und historisch korrekte Dokumentation", vor allem in bezug auf den heikelsten Punkt des Themas, die Ursachen für die Vertreibung der Deutschen. Dazu führt die regierungsamtliche Stellungnahme nur eine einzige auf: "die nationalsozialistische Expansions- und Vernichtungspolitik".

Mit dem Kabinettsbeschluß ist zunächst ein fast acht Jahre dauernder Streit um die Errichtung einer zentralen staatlichen Gedenkstätte für die Opfer der Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg offiziell beigelegt. Bereits der Name der Gedenk- und Dokumentationsstätte erinnert dabei an den Kompromiß, den CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag 2005 geschlossen hatten. Denn die Unionsparteien hatten sich noch im Wahlkampf für die Verwirklichung des Zentrums gegen Vertreibungen (ZgV) ausgesprochen, das im Jahr 2000 als Stiftung unter maßgeblicher Beteiligung des Bundes der Vertriebenen (BdV) ins Leben gerufen worden war, um an das Schicksal der 15 Millionen deutschen Heimatvertriebenen und vor allem das der 2,5 Millionen Menschen zu erinnern, die Zwangsarbeit, Vergewaltigung und Deportation nicht überlebten. "Wir wollen im Geiste der Versöhnung mit dem Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin ein Zeichen setzen, um an das Unrecht von Vertreibung zu erinnern und gleichzeitig Vertreibung für immer zu ächten", lautete der entsprechende Punkt im CDU-Wahlprogramm.

Die Sozialdemokraten lehnten das Konzept des Zentrums jedoch ab. "Wir wenden uns gegen ein nationales Projekt", hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel bereits während einer Parlamentsdebatte im Jahr 2002 betont und statt dessen ein "Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität" initiiert, das einen spezifisch deutschen Standpunkt zum Thema Vertreibung vermied. Nach Meckels Vorstellungen sollte sogar ein deutscher Standort ausgeschlossen werden. Während die SPD beim Kompromiß für das "Sichtbare Zeichen" ihren Widerstand gegen Berlin als Sitz der Gedenkstätte aufgab, konnte sie sich jedoch bei ihrem Hauptziel durchsetzen, nämlich den BdV aus der Mitwirkung so weit wie möglich herauszuhalten.

Dessenungeachtet zeigt sich die Spitze des Vertriebenenverbandes mit dem Kabinettsbeschluß zufrieden: Ein "bislang weißer Fleck in der Gedenkstättenlandschaft der deutschen Hauptstadt" werde damit endlich bearbeitet, so BdV-Präsidentin Erika Steinbach. Sie lobt besonders die "Zähigkeit", mit der Bernd Neumann "einen Stein nach dem anderen aus dem Wege geräumt" habe, um den "gemeinsamen Willen der Koalitionsregierung" umzusetzen. Mit Blick auf die Forderung der Vertriebenen nach einem Zentrum gegen Vertreibungen stellt Steinbach, die auch CDU-Bundestagsabgeordnete ist, fest: "Ohne unsere Stiftung würde es die heutige Entscheidung nicht geben."

Bestätigt sehen sich in ihren Forderungen auch Steinbachs Unionskollegen Hartmut Koschyk (CSU) und Jochen-Konrad Fromme (CDU). Das jetzt beschlossene Konzept enthalte "alle wesentlichen Elemente, die von uns seit langem gefordert wurden", sagte Koschyk in seiner Funktion als Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe. In diesem Zusammenhang sei zu begrüßen, daß "viele absurde Tabus gefallen sind, die lange Zeit gegen die Aufarbeitung der Vertreibungsgeschichte der Deutschen ins Feld geführt wurden".  Auch Fromme, Vorsitzender der Gruppe der Vertriebenen, Flüchtlinge und Aussiedler der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, weist darauf hin,  daß erst auf "Betreiben der Union das Projekt als 'Sichtbares Zeichen' in den Koalitionsvertrag aufgenommen" worden sei. Mit dem Kabinettsbeschluß "ist ein maßgeblicher Schritt auf dem Weg zur Realisierung des 'Zentrums gegen Vertreibungen' gemacht worden", sagte Fromme.

Mit der Behauptung des genauen Gegenteils loben die SPD-Abgeordneten Angelica Schwall-Düren, Monika Griefahn und Markus Meckel den Beschluß: "Das Sichtbare Zeichen ist keine Verwirklichung der Ideen der Stiftung 'Zentrum gegen Vertreibungen'." Wesentliche Punkte, für die die SPD seit Jahren gekämpft habe, seien in das Konzept eingeflossen; daraus folge, daß das "Sichtbare Zeichen nun nicht mehr den Verdacht des Revanchismus bei unseren Nachbarn hervorruft", heißt es in einer Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion. Die Einbindung in das Deutsche Historische Museum gewährleiste, daß Ausstellungen, "die einseitig und tendenziös gestaltet sind", dort keinen Platz fänden. Auch die SPD-Abgeordneten betonen in ihrer Stellungnahme noch einmal, was als amtliche Richtschnur bezüglich der Vertreibungsursachen gelte: "Ohne den von Nazi-Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg und die Vernichtungspolitik hätte es die Vertreibungen nicht gegeben."

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