© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/08 28. März 2008

Robben besser geschützt als Verbraucher
Lebensmittelbranche: Der Geschmack industrieller Nahrungsmittel wird immer häufi ger manipuliert / Gefahren speziell für Kinder
Volker Kempf

Ereignisse in der Welt werden auf dem Fernsehbildschirm zur Unterhaltungsware; Nachrichten-Manipulation ist Alltag. "Wir amüsieren uns zu Tode", brachte das Neil Postman einst auf den Punkt. Heute gerät eine andere Ware, das Essen und Trinken, immer mehr in die Kritik, eine Wirklichkeit für sich geworden zu sein. Denn der Geschmack industrieller Nahrungsmittel verspricht dem Konsumenten Inhalte, die gar nicht gegeben sind.

Was vitaminreich nach Erdbeeren schmeckt, sind nur Aromastoffe. Appetitanreger sorgen dafür, daß mehr gegessen wird als nötig. Wer Obst schmeckt, aber gar kein Obst ißt, lebt gleichsam in einer Welt der Simulation: "Essen, bis es krank macht", titelt eine aktuelle Studie; "Wir essen und trinken uns krank", heißt ein neues Buch von Andreas Modrzejewski.

Was in das Zentrum der Kritik gerät, setzt ganze soziale Bewegungen in Gang: "Slow Food" und Bio-Märkte blühen auf. Vorläufer war etwa Max Otto Bruker, bekannt durch sein Standardwerk "Unsere Nahrung unser Schicksal". Esse nicht, was in der Werbung angepriesen wird, und du lebst schon halbwegs gesund, lautete Brukers Motto.

In der Tat: Wer hat schon einmal einen Werbefilm für frische Tomaten oder Erdbeeren vom regionalen Markt gesehen? Direkt vom Acker schmecken sie am besten, sie haben keine Werbung nötig. Die Masse der Großstadtkonsumenten hat aber kaum die Möglichkeit, direkt vom Erzeuger zu kaufen. Das Supermarktregal bietet dagegen meist Früchte feil, die mehr nach Wasser als nach Frucht schmecken. Aber nur wer den Vergleich kennt, merkt das. Dafür sind etwa "Fruchtjoghurts" um so mehr mit Fruchtgeschmack versetzt. Auch das bringt keinen höheren Anteil an Obst und Gemüse auf den Speiseplan, der für die Volksgesundheit so wichtig wäre. Naturentfremdung hat also ihren Preis. Aber warum dafür auch noch viel Geld bezahlen?

Doch der Geschmack wird schon im Kleinkindalter geprägt. Zucker enthalten die meisten Babyprodukte, so daß die Geschmacksnerven darauf schon programmiert werden. Vanillin ist in der Muttermilch und wird in viele Produkte beigemengt. Später wird dafür bezahlt, den gewohnten Geschmack zu erhalten. Zucker verspricht schnelle Energie und ist ursprünglich in reifen Früchten enthalten. Doch Zucker wird pur, ohne Früchte verspeist. Da kann man sich nur krank essen. Die von Herbert Gruhl schon in den 1980er Jahren so genannte "Krankheitsindustrie" lebt davon gut: Diabetes, Übergewicht und Mineralstoffmangel beleben den Absatz von Medizin, Nahrungsergänzungsmitteln und sorgen für volle Arztpraxen und Krankenhäuser.

Das Wirtschaftswachstum wird angekurbelt, Politiker können entsprechend stolze Zahlen verkünden. Mit beißender Ironie ließe sich formulieren, je schlechter das Essen, desto besser für die Wirtschaft. Und das heiligt alle Mittel, also auch krankmachendes Essen. Manchmal ist der Weisheit letzter Schluß eben nur der Vorletzte.

Wer nun meint, der Ausstieg aus der Geschmacksmanipulation sei möglich, muß sich etwas einfallen lassen. Eine der Tabaksteuer vergleichbare Zuckersteuer wäre denkbar, auch ein Warnhinweis: "Achtung, Zucker gefährdet Ihre Gesundheit". Vor allem Nahrungsmittel für Kleinkinder müßten hier größte Aufmerksamkeit finden. Damit würde zwar nur die Spitze des Eisbergs angegangen werden, aber irgendwo muß einmal der Anfang gemacht werden.

Der Kritik auf die Geschmacksmanipulation folgt langsam eine erstarkende Verbraucherschutzlobby. Daher gründete 2002 der frühere Greenpeace-Chef Thilo Bode beispielsweise Foodwatch, denn "in Deutschland sind Robben besser geschützt als Verbraucher". Der anhaltende Widerstand gegen die Ampelkennzeichnung des Nährwertes von Lebensmitteln nach britischem Vorbild (Rot: "Nur ab und zu essen", Gelb und Grün: "Eine gesunde Wahl", JF 12/08) zeigt, wie schwach die Verbraucher immer noch sind. Das Fehlen einer echten Lebensmittelkonsumentenlobby hatte übrigens schon Helmut Schelsky in den 1970er Jahren beklagt. Der Verbraucher, das war für ihn der Inbegriff des entmündigten, betreuten Menschen. Steht auf, wenn ihr Konsumenten seid!

Der Phase der Kritik kann dann die politische Phantasie folgen, die weniger ungesundes Wachstum und dafür mehr gesundes Essen bevorzugt. Die Zeit ist langsam reif dafür. Eine Partei, die das zum richtigen Zeitpunkt aufgreift, könnte sicher einige Früchte ernten, aber wohl auf keine Spendengelder aus der Industrie hoffen.

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