© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/08 28. März 2008

Pankraz,
Th. Hobbes und das drückende Mobbing

An ihren Lieblingsworten sollt ihr sie erkennen. Das Lieblingswort der deutschen Politik ist heute der "Druck", genauer: das "Druckausüben". Man diskutiert nicht mehr miteinander, man überzeugt sich nicht mehr gegenseitig, überwältigt den anderen aber auch nicht einfach, sondern man "übt Druck aus", immer wieder und über lange Zeiträume hinweg. Die Nachrichten im Fernsehen und in den Zeitungen wimmeln von "Drücken", die man ausübt oder denen man ausgesetzt wird. "Der Druck auf China in der Tibet-Frage wächst" - so verkündete vor einigen Tagen die Sprecherin gleich zu Beginn der ARD-Tagesschau.

Die Rhetorik des Druckausübens hat sich reich entfaltet und vermehrt sich fast jeden Tag um weitere Wendungen. Man baut nicht mehr wie früher Drohkulissen auf, sondern Druckkulissen. Der Druck wird gegebenenfalls systematisch erhöht, selten je wieder abgeschwächt, das Druckpotential jedenfalls voll ausgeschöpft. Ob Freund oder Feind, ist dabei ganz gleichgültig. Auch befreundete Mächte bekommen im Bedarfsfall Drücke zu spüren, gerade sie. Politischer Druck ist gewissemaßen wertneutral.

Parallel zum Druckausüben wächst auch der Druckwiderstand. Die Phrase "Wir lassen uns nicht unter Druck setzen", höhnisch oder empört artikuliert, gehört mittlerweile zum Standardrepertoire von Politikern, die unter Druck geraten sind bzw. den Druck feindlicher oder befreundeter Mächte abzuwehren versuchen. Werden sie dem Druck auf Dauer widerstehen können? Oder werden sie eines Tages dem vereinten Druck nachgeben oder gar unter ihm zusammenbrechen?

Worin besteht der Kern des modernen Druckausübens? Mit militärischen Mitteln, Grenzaufmärschen, Truppenmassierungen usw. wird heutzutage kaum noch gedrückt, denn die zur Eröffnung eines schweren Orlogs notwendigen Abschußrampen zu Lande, unter Wasser oder im Orbit sind längst in Stellung gebracht und könnten jederzeit zuschlagen. Niemand läßt sich von ihnen mehr unter Druck setzen, Großmächte nicht, weil sie jederzeit zum effektiven Gegenschlag bereit sind, kleinere Mächte nicht, weil das eventuelle kriegerische Überwältigtwerden sowieso zu ihrer tagtäglichen Lebenserfahrung gehört und sie es  gar nicht mehr als Druck wahrnehmen.

Vergleichbar wirkungslos ist der wirtschaftliche Druck geworden, das, was hier und da auch "Boykott" heißt. Die Boykottierten gewöhnen sich ziemlich schnell an diese Art von Bedrückung und nehmen sie gelassen hin. Man denke etwa an Kuba! Über fünfzig Jahre währt inzwischen der US-Boykott gegen die Insel, und er hat ihr wirtschaftlich zweifellos auch beträchtlich geschadet. Das Regime ist darüber jedoch nicht zusammengebrochen.

Nein, der wahre Druck, der ja nicht nur ein außenpolitisches, sondern auch und vor allem ein innenpolitisches Instrument ist, besteht nicht im Militärischen oder Wirtschaftlichen, sondern im Semantischen und Habituellen. Er ist das, was man im gesellschaftlichen Leben Mobbing oder altdeutsch Bierverschiß nennt: ein bewußtes und demonstratives Ignorieren des unter Druck Gesetzten, sein Totschweigen und Übersehen. Man läßt ihn nicht mehr mitspielen bzw. droht damit, ihn nicht mehr mitspielen zu lassen, so wie ja schon Kinder oder bestimmte Naturvölker Gemeinschaftsmitglieder, die Zorn auf sich gezogen haben  und "fertiggemacht" werden sollen, nicht mehr mitspielen lassen.

Elisabeth Noelle-Neumann hat den Vorgang in ihrem Buch über die Schweigespirale erstmals genauer analysiert. Der Druck, der durch kollektiven Bierverschiß entsteht, ist tatsächlich beträchtlich und in vielen (vielleicht sogar den meisten) Fällen wirkungsvoll, weil echt schmerzhaft. Man kann sich kaum an ihn gewöhnen und sich auch schwer präzise auf ihn einstellen. Die Richtungen, aus denen solcherlei Druck kommen kann, sind äußerst vielfältig und fordern von dem, der widerstehen will, ständig höchste Aufmerksamkeit und vollen Einsatz. Insofern könnte man ihn beinahe als eine ideale Schulung zur Elitebildung bezeichnen.

Bei denen, die den Druck ausüben, wirkt sich das freilich keineswegs elitebildend aus. Die Politik verkindlicht und primitivisiert sich. Eine platt materialistische Auffassung von den Zusammenhängen des spezifisch menschlichen, Polis und Staat stiftenden Lebens wird sichtbar. Was soll man aber von einer "Politologie" halten, die alles auf das simple Schema von Druck und Gegendruck zurückführt und den Karat politischer Argumente und Strategien nicht an ihrer inhaltlichen und formalen Qualität mißt, sondern nur noch am Quantitätsgrad des mechanischen Drucks, den sie auf Gegner oder unbequeme Kumpane ausübt?

Thomas Hobbes, der große, streng mechanisch denkende Politologe der frühen europäischen Neuzeit, läßt sich gewiß nicht als Kronzeuge für eine derart eingeschränkte Perspektive heranziehen. Das Schema von Druck und Gegendruck, das er für die Welt des Organischen und auch für die "niederen" Antriebe in der Natur des Menschen entworfen hatte, wurde von ihm für den Bereich des genuin Politischen resolut suspendiert. Nicht Druck und Gegendruck gaben dort den Ausschlag, sondern der übermächtige Wille des Leviathan, in dessen Staatsgebäude sich sämtliche übrigen Willens­träger seiner Anweisung gemäß einzuordnen hatten, einerlei wie hoch ihr Druckpotential war.

In den Worten der heutigen Politik ausgedrückt: Wenn es wirklich ernst wird, kommt ein Druck von ganz oben, der einem das schönste Druckausüben verleidet. Es muß ja nicht immer der Leviathan sein. Um notwendigen Gegendruck zu erzeugen, genügt manchmal schon die offenbare Not des Vaterlands und der Blick auf die dafür verantwortlichen Druckausüber, Mobbing-Spezialisten, Bierverschiß-Experten.

Wie grölten einst die Berliner Straßenjungen (nach einer Mitteilung von Zelter an Goethe) zur Zeit der napoleonischen Besetzung? "Druck und Stoß / Gehn in die Hos". Dem wäre kaum etwas hinzuzufügen, allenfalls dies: Manchmal geht der Stoß auch ins Herz.

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