© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/08 28. März 2008

Alchimie und Internet
Politische Zeichenlehre XLV: Schwarze Sonne
Karlheinz Weissmann

Gemeinhin wird die mythenbildende Kraft der Gegenwart unterschätzt. Verstanden sei darunter die in aufgeklärten Zeiten überraschende Fähigkeit, Geschichten zu erzählen und zu tradieren und sie mit Symbolen so zu verknüpfen, daß sie für einen bestimmten Zusammenhang erschließend wirken. Der Hörer des Mythos muß weder den Entstehungsweg nachvollziehen noch die eigentliche Bedeutung des Symbols verstehen, um beeindruckt zu sein.

Ein wichtiger Teil moderner Mythologie ist alles, was Nationalsozialismus und Esoterik kombiniert, angefangen bei parawissenschaftlicher Literatur und endend bei Groschenromanen oder großen Hollywood-Produktionen. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit stößt man dabei auf das Emblem der "Schwarzen Sonne". Das Wort bezeichnete ursprünglich ein alchimistisches Zeichen (sol niger). Politische Bedeutung erhielt es erst im Zusammenhang mit dem 1971 erschienenen Buch des Österreichers Wilhelm Landig, das den eigenartigen Titel "Götzen gegen Thule" trug. Landig, der nach dem Zweiten Weltkrieg an Versuchen beteiligt war, die "Ariosophie" wiederzubeleben, entwickelte in seinem Roman die Vorstellung, daß ein letzter Rest von Überlebenden des Dritten Reiches zum Südpol geflohen sei, daß er Zugang zur "Hohlwelt" gefunden habe und eine überlegene Technologie beherrsche, die es unter anderem ermögliche, "Flugscheiben" zu bauen, die von den Unwissenden als Ufos der Außerirdischen betrachtet werden. An einer Stelle heißt es, daß die Flugscheiben nicht mehr wie Militärgerät der Wehrmacht während des Krieges mit einem Balkenkreuz markiert seien, sondern mit einem "schwarzen Punkt". Die exilierte Reichsführung habe sich dazu entschlossen, um nach der Kapitulation nicht den Eindruck zu erwecken, das Reich setze den Kampf irregulär fort; typisch für den ganzen Duktus ist die mystifizierende Erklärung: "Dieser schwarze Punkt ... ist Sol niger oder die schwarze Sonne, wie es auf deutsch heißt. Sie hat eine tiefe symbolische Bedeutung, und es sollte eigentlich anstelle des optisch sichtbaren Schwarz ein Tiefdunkelrot zu sehen sein. Es ist die Sol niger der Alchimie"; dabei habe das Symbol weiter "zuerst die Bedeutung der Sonne: Es ist dasselbe Symbol wie das Gammadium, jedoch unter dem Aspekt der Kreuzigung. Eben genau: unser Balkenkreuz!" Die Station "Punkt 103" verwende zukünftig die Schwarze Sonne als "das alleinige Symbol unseres geheimen selbständigen Reiches".

Auch wenn die Romane von Landig - "Götzen gegen Thule" war nur der erste Teil einer Trilogie - eine gewisse Verbreitung erfuhren, blieb ihre Wirkung sehr begrenzt. Erst in den neunziger Jahren fanden solche und ähnliche Ideen eine stärkere Resonanz, was nicht zuletzt auf die Verbreitungsmöglichkeiten des Internet zurückzuführen war. In dem Zusammenhang trat auch die Schwarze Sonne als Symbol erstmals in Erscheinung, nicht nur unter Skinheads und "Neos", sondern auch in einer Jugendszene, die nur die Provokation liebte.

Die seitdem in Umlauf gekommenen Devotionalien mit dem Symbol, vom Anhänger bis zum "T-Hemd", von der Fahne bis zum Plattencover, zeigen allerdings keinen "schwarzen Punkt" wie von Landig beschrieben, sondern eine Art Hakenkreuz, das aus einem Dutzend "Sig-Runen" zusammengesetzt ist. Vorlage für diese Darstellung ist ein Ornament, das sich als Fußbodenbelag im "Gruppenführersaal" des Hauptturms der Wewelsburg - einer der letzten Reste der "Kultstätte" Himmlers - erhalten hat. Für die Identifizierung der Schwarze Sonne mit diesem Ornament gibt es allerdings keinen historischen Anhalt. Nach einer Untersuchung von Hans-Jürgen Lange fand sie sich zuerst in dem phantastischen Roman von Russell McCloud "The Black Sun of Thashi Lumpo" (London 1991).

Das Wissen um diesen Hintergrund ist aber längst verlorengegangen, wenn es denn je interessiert hat. Die Schwarze Sonne in der beschriebenen Gestalt findet sich deshalb wie selbstverständlich in Sachbüchern, in jeder noch so abstrusen "Neuschwabenland"-Theorie und besonders in der Art von Unterhaltungsliteratur, die sich ab und zu des "okkulten Nationalsozialismus" bemächtigt. Im Nachwort seines gerade erschienenen Bandes "Die schwarze Sonne" erläutert James Twining ganz selbstverständlich das, was er für gesicherte Fakten hält, während es sich nur um ein Substrat von Phantasie, dubiosen Informationen und Kalkül handelt.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen