© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/08 28. März 2008

Kunstpflege im Windschatten
Ausstellung Macht und Freundschaft: Berlin - St. Petersburg 1800-1860
Wolfgang Saur

Das deutsch-russische Verhältnis stand im 20. Jahrhundert unter keinem guten Stern. Zwei Weltkriege, die Polarisierung im Zeichen des europäischen Bürgerkriegs, deutsche Teilung und Kalter Krieg suggerierten die Idee zweier unversöhnlicher Antipoden.

Frappant vermittelt dagegen die ältere Zeit ein alternatives Bild. Die polnischen Teilungen (1772/92/95) führten Österreich, Preußen und Rußland politisch zusammen, schufen gar direkte Nachbarschaften. 1812/13 nationalisierte der antinapoleonische Befreiungskampf Deutsche und Russen. Dann entstand die Nachkriegsordnung der Heiligen Allianz, deren christliche und monarchische Prinzipien die antirevolutionäre Staatenordnung des Kontinentalblocks weltanschaulich grundierten.

Besiegelt wurde diese neue Einheit zwischen Preußen und Rußland 1817 durch die Hochzeit des Zarewitsch Nikolai mit der Prinzessin Charlotte, der Tochter Friedrich Wilhelms III. und seiner Königin Louise. Seit Peter III. waren die Romanows genealogisch ein deutsches Geschlecht. Neben Nikolai heirateten sieben seiner neun Geschwister deutsche Partner. Damit war das dynastische Band perfekt.

Geistig lockte der deutsche Aufschwung von Poesie, Philosophie und Wissenschaft in der Goethezeit viele russische Intellektuelle ins Nachbarland. Sie studierten an hiesigen Universitäten, schlossen sich Hegel, Schelling, Baader, Schleiermacher an oder besuchten Tieck und Caspar David Friedrich in Dresden. Die Vermittlung der Romantik und des Deutschen Idealismus ermöglichte die ganz eigene Synthese der Slawophilen und des russischen Geschichts- und Religionsdenkens bis hin zu Nikolai Berdjajew (†1948). Besonders eng war der künstlerische Austausch im 19. Jahrhundert, wurde er von den Monarchen doch mäzenatisch befördert. Schinkel entwarf Paläste für die Zarin, und Clodt von Jürgensburgs "Rossebändiger" (1842/43) trafen als Geschenk für die preußischen Verwandten in Berlin ein.

Die hier sonst am Kammergericht plazierten Monumentalfiguren schmücken jetzt den gewaltigen Lichthof des Gropiusbaus. Das macht sie zum suggestiv theatralischen Zentrum einer anregenden Ausstellung, welche die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten gemeinsam mit russischen Einrichtungen unternommen hat. Sie versucht, den Zeitraum von 1800 bis 1860 ästhetisch, kulturgeschichtlich und politisch einzufangen und opulent zu bebildern. 13 Abteilungen schildern diese sehr aristokratische und exklusive Völkerfreundschaft im "bürgerlichen Jahrhundert" bis zum Tod Nikolais I. (1854), der Zarin (1860) und ihres Bruders, Friedrich Wilhelms IV. (1861), mithin der Hauptakteure dieser Periode. Die politisch gravierende Zäsur bildet daneben der Krimkrieg (1853-1855). So verwundert es nicht, am Ausgang der Schau Napoleon III. zu begegnen und seinem Oheim zu Beginn. Der Rahmen wird also politisch markiert: zunächst die napoleonische Usurpation - das revolutionsinduzierte, erste imperialistische Projekt der Moderne; schließlich die plebiszitäre Monarchie des Neffen - ein prekärer Kompromiß im Zeitalter der Massen, mit dem Fluchtpunkt des deutsch-französischen Krieges 1870/71.

Verständlich, daß inmitten solch dramatischer Zeiterfahrung das System Metternichs (1815-1848) nun Ruhe, Ordnung, Legitimität favorisiert, häusliches Glück und ästhetische Bildung begrüßt. Von derlei subtilen Gefühls- und Kulturlandschaften erfährt man recht viel. Reich strömen die kostbaren Zeugnisse aus Potsdamer und Petersburger Schlössern: Zeichnungen und Gemälde, Plastiken und Porträtbüsten, Prunkvasen und Edelsteingerät, Theaterprospekte und delikate Interieurschilderungen der hochfürstlichen Wohnungen und Lebensform. Schinkel, Klenze, Gaertner, Krüger arbeiten für den russischen Hof, und Fürst Shukowski, Lehrer der Zarenfamilie, übersetzt die deutschen Dichter. Bis ins liebevolle Detail lassen sich hier auch die beiden legendären Hoffeste "Lalla Rookh" (Berlin 1821) und "Zauber der Weißen Rose" (Potsdam 1829) studieren. Die spannen ihre Mitwirkenden spielerisch ein in zauberischen Orient und ritterliches Mittelalter. So choreographierten exotisch kostümierte Reiter zierliche Arabesken einer filigranen Roß-Quadrille zu farbenprächtigen Mustern.

Daneben bleiben der Dekabristenaufstand (1825) etwa oder die Revolution 1848 blaß. Sie deuten auf eine konzeptionelle Schwäche der Ausstellung, deren divergierende Aspekte sich inhaltlich und methodisch nicht recht zu einer schlüssigen Aussage verbinden wollen. Dominant bleibt der schöne Schein eines noblen, hochkulturell versierten, noch ganz stilsicheren Biedermeier im Zeichen von Klassizismus und Romantik. Die Künstler ziehen Kreise auf den Bahnen ihrer dynastischen Mäzene. Diese Kunstpflege im Windschatten des modernen Markts, von Massenmedien und Massengesellschaft, des multikulturellen Stilplunders zeigt rückblickend den Schimmer edler Melancholie, wird freilich nicht wieder aufleben. Das verurteilt ihren Gegenstand zu einem ausdrücklich historischen, an den sich kaum anknüpfen läßt.

Immerhin beeindruckt die Erkenntnis von der nachhaltigen Prägung europäischer Städte - hier exemplarisch Berlins und Petersburgs - durch die internationale Adelskultur. Deren ideale wie intime Formen (architektonisch zumal) wirken in unserer Lebenswelt nach bis heute.           

Die Ausstellung "Macht und Freundschaft. Berlin - St. Petersburg 1800-1860" ist bis zum 26. Mai im Berliner Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, täglich außer dienstags von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Der Begleitband mit 336 Seiten und 250 farb., 30 s/w Abb., kostet in der Ausstellung 24,90 Euro. Internet: www.spsg.de , www.gropiusbau.de

Foto: Fest der Weißen Rose im Neuen Palais bei Potsdam am 13. Juli 1829 (Theodor Hosemann nach Johann Heinrich Stürmer, handkolorierte Lithographie): Aristokratische Völkerfreundschaft

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