© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/08 28. März 2008

Die Quadratur des Kreises
Ende März 1968 wurde die Zulassungsbeschränkung über den Numerus clausus an westdeutschen Hochschulen reaktiviert und führte zu jahrelangen Protesten
Michael Paulwitz

An der Quadratur des Kreises hat sich so mancher Bürokrat schon die Zähne ausgebissen. Wie bringt man das Humboldtsche Hochschulideal der engen Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden mit dem Studentenansturm auf die moderne Massenuniversität unter einen Hut? Vor vierzig Jahren versuchten die wissenschaftlichen Hochschulen der Bundesrepublik eine pragmatische Antwort durch ein zählebiges Provisorium: den Numerus clausus.

An der "geschlossenen Zahl" der vorhandenen Studienplätze orientierte Zulassungsbeschränkungen gab es schon in der Nachkriegszeit. Nach kurzer Entspannung durch die geburtenschwachen Kriegsjahrgänge verdoppelte sich die Zahl der Studienanfänger bis 1967 gegenüber dem Stand von 1952, ohne daß der Ausbau der Hochschulen Schritt gehalten hätte. Der Numerus clausus (NC) wurde reaktiviert. Als 1968 der Ansturm der Wirtschaftswunderkinder auf die Studienplätze begann, beschloß die Westdeutsche Rektorenkonferenz (WRK) am 27. März, an den Universitäten generelle Zugangsbeschränkungen nach Abiturschnitt für überlastete Fächer, allen voran Humanmedizin, einzuführen.

Eine zentrale Registrierstelle wurde schon 1965 geschaffen; die letzte Entscheidung über die Aufnahme der Neustudenten blieb indes bei den einzelnen Hochschulen, die noch auf ihre Autonomie pochten. Die Zahl der Studienanfänger ging drastisch zurück. Dagegen  und gegen die örtlich und von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Handhabung des NC richtete sich eine Prozeßflut, die am 18. Juli 1972 in das "Numerus clausus"-Urteil des Bundesverfassungsgericht (BverfGE 33,303) mündete.

Die Karlsruher Richter forderten eine transparente Regelung von "Art und Rangverhältnis" der Auswahlkriterien in den Hochschulgesetzen und erklärten die Bevorzugung einheimischer Bewerber, wie sie etwa in Bayern praktiziert wurde, für verfassungswidrig. Ihre Forderung nach einer überregionalen Stelle, die in gemeinsamer Verantwortung von Bund und Ländern alle freien Studienplätze unter Anwendung einheitlicher Kriterien regeln solle, wurde zur Geburtsurkunde der Dortmunder Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS).

Den Achtundsechzigern war der "elitäre" NC - kaum verwunderlich - ein rotes Tuch. Dem Wachstum der ZVS, die im Mai ihren 35. Geburtstag feiern kann, stand dies nicht im Wege. Über drei Jahrzehnte nach ihrem Bestehen bearbeitet die Dortmunder Zentralstelle allsemesterlich etwa 120.000 Bewerbungen. Bundesweit ist die ZVS für Medizin, Zahnmedizin, Pharmazie, Psychologie und Biologie zuständig. Eine Neuregelung zum Wintersemester 2005/06 hat die Entmündigung der Hochschulen durch die "letzte Bastion der Planwirtschaft" partiell zurückgenommen: Sie dürfen jetzt sechzig Prozent der Plätze nach eigenen Kriterien wie Berufspraxis, fachspezifischem Test oder Auswahlgespräch vergeben, nur noch je ein Fünftel wird zentral über Abiturnote bzw. Warteliste zugeteilt.

Inzwischen sind auch örtliche NC-Regelungen an einzelnen Hochschulen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben wieder im Zunehmen begriffen - die Wegrationalisierung vermeintlich entbehrlicher Lehrstühle fordert ihren Preis. Auch die Schweiz und Österreich haben zuletzt Zulassungsbeschränkungen für das Medizinstudium eingeführt, nicht zuletzt aufgrund des anschwellenden Stroms von "NC-Flüchtlingen" aus Deutschland.

Der Notbehelf ist zum Dauerzustand geworden. Unverändert steht der Druck zur massenhaften Produktion von Akademikern im Widerstreit mit der universitas der Lehrenden und Lernenden, die selbst entscheidet, wer zu ihr paßt. Die erzwungene Einebnung der Abschlüsse, inzwischen auch im Namen der europäischen Harmonisierung, konterkariert die Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft, die diesen Druck mildern könnte, indem Fachhochschulen und Berufsakademien sich der verschulten akademischen Ausbildung widmen und die Universitäten mehr Freiraum im Wettbewerb der Besten in Forschung und Wissenschaft gewinnen.

Der NC bleibt somit ein bürokratisches Instrument zur Bewältigung bildungspolitischer Vorgaben. Die Freiheit der Wissenschaft hat auch die größere Freiheit der Studentenauswahl den Universitäten nicht zurückgegeben.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen