© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/08 04. April 2008

Zeitschriftenkritik: Myops
Schmerzhafte Stiche
Werner Olles

Die Erkenntnis, daß Rechtsnormen immer auch Kulturnormen sind, haben wir dem Rechtsphilosophen Max Ernst Meyer zu verdanken: "Wie das Volk nichts vom Gesetz, so weiß das geltende Gesetz nichts vom Volk; die beiden kennen sich nicht" (Rechtsnormen und Kulturnormen, Breslau 1903). "Das Ziel des Rechts ist der Friede, das Mittel dazu der Kampf", fand hingegen Rudolf Ihering, und der früh verstorbene Kabarettist Matthias Beltz, ein gelernter Jurist übrigens, meinte, auch das Recht habe sich "an der Ästhetik und nicht an der Einschaltquote" zu orientieren. Damit wollte er sagen, daß das Recht als eine hohe Form der Kunst angesehen werden muß. Das allerdings scheint nicht ganz einfach zu sein in einem Land, dessen juristische Fachzeitschriften zwar jeden dahingegangenen Landgerichtspräsidenten mit bewegenden Nachrufen in die Ewigkeit geleiten, wo aber beispielsweise der Name Carl Schmitt im besten Fall eisiges Schweigen auslöst.

Möglicherweise könnte sich das jedoch bald ändern. Myops - Berichte aus der Welt des Rechts nennt sich eine Zeitschrift, deren Autoren dreimal jährlich "die Rechtswelt kritisch ins Visier nehmen" wollen und dabei "Erkenntnisgewinn mit Lesevergnügen" versprechen. Der Titel kommt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie Stechfliege oder Bremse, weist allerdings auch auf die Selbstbezeichnung des Sokrates während seiner Apologie hin. Der klassische Myops, so lesen wir im Editorial, hatte es auf Athen abgesehen, das wie ein großes Roß zur Trägheit neigte und daher des unaufhörlichen Ansporns bedurfte. Diese Rolle des Myops übernahm Sokrates, doch sind die Schläfrigen, einmal aus ihrer Lethargie aufgescheucht, fast immer mürrisch statt dankbar. Bei Sokrates führte dies zum Prozeß und schließlich zur Hinrichtung wegen Religionsfrevels und Jugendverführung.

Solch grausames Ende werden Herausgeber und Schriftleitung von Myops gewiß nicht nehmen. Doch wollen auch sie "knapp und verständlich von schlechten Schriften, unglaublichen Urteilen, Verirrungen der Forschung und Lehre, von Absurditäten der Verwaltung und der Rechtspraxis überhaupt berichten". Mit kleinen, schmerzhaften Stichen will man die heutige Rechtslandschaft samt Gesetzgeber und Urteiler, Rechtsverwalter und Ordnungserzeuger, Normdeuter und Regelkundler "um die schädliche Gemütlichkeit bringen". Daß man sich damit nicht beliebt macht, wird bewußt in Kauf genommen, wichtig ist allein, daß die Stiche der Sache dienen.

Ein gelungenes Porträt der im Vormärz 1849 und 1850 fast wöchentlich erschienenen Deutschen Reichsbremse eröffnet die erste Ausgabe von Myops. Als Gratisbeilage zum Leuchtthurm, einer der schärfsten radikaldemokratischen Zeitschriften jener Zeit, war sie ein Fundus an Karikatur, Kritik, Spaß und Ernst. Der Reichsbremse ging es in der Hauptsache um Deutschland: Vormärz, Paulskirche, Demokratie, Hoffnungen, Enttäuschungen. Mit der "brandgefährlichen Demontage der Fundamente eines Berufsstandes, deren Folgen für den gesamten Bereich der Rechtspflege noch gar nicht abzuschätzen sind", befaßt sich ein Beitrag, der den Börsengang australischer Anwaltskanzleien inklusive der Beteiligung von Berufsfremden thematisiert. Großbritannien will noch dieses Jahr nachziehen.

Anschrift: Verlag C.H.Beck, Postfach 40 03 40, 80703 München. Das Einzelheft kostet 15 Euro, das Jahresabo 30 Euro (ermäßigt für Studenten 22,50 Euro).

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