© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/08 04. April 2008

Einbruch der dunklen Wasser
Religiöser Sanitätsdienst am Leser: Vor fünfzig Jahren starb der katholische Dichter Reinhold Schneider
Werner Olles

Im Februar 1951 veröffentlichte die Ost-Berliner Zeitschrift Aufbau Reinhold Schneiders Appell, daß "ein geteiltes Volk, das in der Gefahr des Bruderkrieges ist und dessen Land zum Schlachtfeld der Welt werden kann", sich "nicht bewaffnen" dürfe.  Die politischen Gegner des Dichters reagierten mit persönlichen Verleumdungen, er wurde als "Jude" oder "Kommunist" beschimpft, gar für "geistig umnachtet" erklärt. Schneider, der während der Zeit des Nationalsozialismus zu den mutigsten und integersten Schriftstellern der "inneren Emigration" gehörte, hat diese Anwürfe, die bis zum Boykott seiner Bücher reichten, dank seiner religiösen Überzeugung und der Berufung auf seine "Gewissensnot" einigermaßen gelassen überstanden, dennoch trug er bis zu seinem Lebensende schwer an den ihm zugefügten Enttäuschungen. Eine gewissen Rehabilitierung erfuhr er jedoch 1952 durch die Verleihung des Ordens Pour le mérite und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1956.

Reinhold Schneiders Werk umfaßt mehr als 150 Buchveröffentlichungen, die jedoch  nur schwer bestimmten literarischen Kategorien zuzuordnen sind. Zumindest ein innerlicher Zusammenhang besteht jedoch zwischen einer Gruppe von Büchern, die in den frühen dreißiger Jahren erschienen: "Das Leiden des Camoes. Untergang und Vollendung der portugiesischen Macht" (1930), "Philipp II. - Religion und Macht" (1931), "Fichte. Der Weg zur Nation" (1932), "Die Hohenzollern" (1933) und "Auf Wegen deutscher Geschichte" (1934) sind persönliche Deutungen abendländischer Geistes- und Lebensformen. Doch während sich der Dichter im Fichte-Buch dem völkischen Reichsmythos annäherte, klangen im von Schneiders konservativ-monarchistischer Grundhaltung durchdrungenen Hohenzollern-Buch Auftrag und Tragik des Königtums an. Sein "Aufruf zur Monarchie" zeigte dann auch deutlich die völlige Unvereinbarkeit eines aus einer tragischen Weltsicht gespeisten Konservatismus mit der Ideologie des Nationalsozialismus.

Durch alle Bücher Schneiders ziehen sich indes die Hauptthemen seines Lebenswerkes: die Spannung von Macht und Gnade, Macht und Geist und die Frage nach dem Wesen der Macht und dem Sinn einer notwendigerweise tragisch verlaufenden Geschichte, der immer "das Prinzip ihres Untergangs ...eingeboren ist".  Zwar wurden bereits seine frühen Werke gerne als "christlich" oder "katholisch" bezeichnet, doch war dies nur zum Teil richtig. Schneider selbst sagte beispielsweise über sein Hohenzollern-Buch: "Es war kein christliches Buch und wollte das nicht sein; ich war kein Christ, sondern ich sah im Tragischen den Sinn der Geschichte."

Tatsächlich entwickelte der am 15. Mai 1903 in Baden-Baden als Sohn eines Hoteliers geborene Reinhold Schneider als junger Mann, nachdem die Inflation das elterliche Vermögen verschlungen und er eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, zunächst eine tragische Weltsicht. Nach seiner eigenen Einschätzung speiste sie sich aus der vom Vater ererbten Schwermut und aus der Begegnung mit der Philosophie Schopenhauers und Nietzsches. In einem Hotel "dicht am Kurhaus in Baden-Baden" aufgewachsen, gestatteten ihm seine "Kindheits- und Jugendjahre ... den letzten Blick auf eine Welt und Gesellschaft .., die 1914 zu versinken begann". Angesichts der "Verfalls der bürgerlichen Ordnung", von dem auch sein Elternhaus betroffen war,  gelangte er - "Ich fühlte keinen tragenden Grund mehr" - "zum totalen Pessimismus".

Kurz nachdem Schneiders Mutter die Familie verließ, beging der Vater Selbstmord. 1922 versuchte auch der 19jährige Sohn sich zu töten, überlebte aber leicht verletzt. Erst auf einer Reise nach Portugal fand er schließlich zu sich selbst. 1938 siedelte er von Potsdam nach Freiburg i.Br. über, und mit diesem Umzug fiel auch seine Reversion zum katholischen Glauben zusammen, von dem er sich seit seiner Jugend distanziert hatte. Es war vor allem die intensive Beschäftigung mit den großen historischen Gestalten der römischen Kirche, die ihn zu der Überzeugung von der Macht der göttlichen Gnade führte. So sah er die Macht Gottes selbst im Chaos der Geschichte wirken und sich immer wieder gegen widergöttliche Mächte durchsetzen.

Neben kleinen hagiographischen Erzählungen und religiösen Schriften, die wegen ihrer Ablehnung des Nationalsozialismus und seines Bekenntnisses zur christlich-abendländischen Überlieferung illegal verbreitet wurden, erschien 1938 "Las Casas vor Karl V.". Mit Recht als ein Beitrag zum geistigen Widerstand gelesen, zeigte es, wie der Mißbrauch der Macht in Schuld und Verstrickung führt. Tötung von Menschen und Jagd nach Gold: Das war nicht anders zu verstehen denn als Parallele zur Verfolgung der Juden.

Schneiders scharfe Kritik an der geschichtslosen und menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus kam in den folgenden Jahren in einer Fülle von Erzählungen, Gedankendramen und theologischen Traktaten zum Ausdruck. "Religiösen Sanitätsdienst" nannte der Dichter diese Versuche, die Leser mit der "Notwendigkeit unlösbarer Konflikte in der Seele wie in der Geschichte" zu konfrontieren. Dazu gehörte auch sein umfangreicher Briefwechsel mit Soldaten, Gefangenen, Flüchtlingen aus dem deutschen Osten und anderen Menschen, die unter dem Grauen des Krieges zu leiden hatten. Nach einer Anklage wegen Hochverrats entging er im Frühjahr 1945 nur durch das Ende des Krieges seiner Verurteilung.

In den Nachkriegsjahren trat das lyrische Schaffen in den Hintergrund. Neben Essays und Vorträgen - Schneider politisches Engagement gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und die atomare Aufrüstung nahmen ihm viele Konservative übel - traten nun historische Dramen und autobiographische Arbeiten in den Mittelpunkt seines Werkes. Zu den wichtigsten Dramen gehört "Der große Verzicht" (1950), das die tragische Geschichte des Petrus von Murrhone behandelt, in dem das Abendland seinen Retter sieht, der aber alsbald auf sein Amt als Papst verzichtet.

Einblicke in sein persönliches Schicksal gewährte das Tagebuch "Winter in Wien" (1958). Durch die tiefe Schwermut, die Schneiders gesamtes Werk durchzieht, bricht das Licht eines überwindenden Humors. Das Tagebuch vermittelt seine Begegnung mit der Stadt und ihrer Vergangenheit, aber auch mit der seelischen Situation des Dichters. Schneider spricht von einem "Einbruch der dunklen Wasser in einen leer gewordenen Raum". Zwar scheinen wie in der als "tragisch" apostrophierten Schaffensphase die Widersprüche unlösbar zu sein, doch zeigt Schneiders Tagebuch auch, daß die Verschwisterung mit dem Leid der Untergehenden und Verzichtenden, mit Schuld und Verantwortlichkeit ein Grundzug seiner Natur war, der nur überwunden und versöhnt wurde durch den Glauben.

Reinhold Schneider starb nach langjährigem schwerem Leiden am 6. April 1958 in Freiburg an den Folgen eines Sturzes auf der Straße.

Foto: Reinhold Schneider (1903-1958): Werk von tiefer Schwermut

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