© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/08 04. April 2008

Hirschjagd mit einem Schuß Außenpolitik
Noch ein deutscher Gedenkort: Uwe Neumärker und Volker Knopf porträtieren die Rominter Heide
Holger Detlefs

Für die Weltabgeschiedenheit des östlichsten Landstrichs des Deutschen Reiches stand die kleine Bosheit: "Überall kommt Bildung durch, bloß man nich in Insterburch."

Obwohl es natürlich in Insterburg, Goldap oder Gumbinnen kaum bildungsferner zuging als anderswo in der deutschen Provinz, ist doch erstaunlich, daß die Gegend im Unterschied zu Storms friesischer Mancha oder Fontanes Mark nie als "Literaturort" Beachtung fand. Einzig und allein "Die süße Not", ein "Roman aus Rominten" (1917), verfaßt vom masurischen Vielschreiber Fritz Skowronnek (1858-1939), entführt den Leser in diesen Winkel Ostpreußens. Dort trifft er dann auf dessen Stammpersonal: allerlei Grünröcke, die sich in diversen "Herrenstübchen" Rotspon auf die Lampe gießen, von Adjunkten zu freiende "blitzsaubere" Försterstöchter sowie auf die bei solchem Trunk und Liebeswerben störenden Wilddiebe. Nur weil Skowronnek das Ganze diesmal in der Rominter Heide ansiedelte, belebte er seine erprobte Szenerie mit einem Gast, genannt "der oberste Jagdherr".

Gemeint ist Kaiser Wilhelm II. Und mit diesem kleinen Kunstgriff, der eine historische Gestalt in fiktives Geschehen einführte, machte der Romancier Anleihen bei dem Journalisten Skowronnek. Denn mit Erlaubnis des kaiserlichen Hofamtes durfte der renommierte Jagdautor seit 1901 exklusiv für große deutsche Tageszeitungen untertänigst über Wilhelms II. Rominter Pirschgänge und Abschußerfolge berichten.

Also nicht ein erfolgreicher Roman, sondern solche Reportagen aus des Kaisers Lieblingsrevier vermittelten den Gefilden an der Grenze zu Rußland wenigstens einen Schimmer von Bekanntheit. Wozu nicht wenig beitrug, daß Seine Majestät zwischen den Hirschhatzen mittels Telefon und Aktenkurier auch weiter "regierte", das Machtzentrum des Reiches mithin sich allherbstlich für ein paar Tage von Berlin an die ostpreußische Peripherie verlagerte.

Der Kaiser kam seit 1890 nach Rominten, 1891 entstand dort sein eher bescheidenes Jagdhaus im norwegischen Stil. Im August 1914 bezogen es die zaristischen Invasoren, die einen Großteil der übrigen Provinz verheerten, Rominten aber weitgehend verschonten. Im Herbst 1918 fuhr der Kaiser statt zur Hirschjagd nach Holland ins Exil.

Während der Weimarer Republik, ohne die monarchische Sonne, blieben Förster und Wilderer, Fuchs und Has', wieder unter sich. Der sich ab 1920 belebende Tourismus bevorzugte die Ostseeküste zwischen Pillau und Nidden, ließ die 24 Hektar Rominter Wald links liegen. Daran änderte sich nach 1933 zunächst wenig. Bis ein neuer "oberster Jagdherr" dort Wurzeln schlug, der "Reichjägermeister" Hermann Göring, um nur eine seiner zahllosen Funktionen als zweiter Mann im Staate Adolf Hitlers zu erwähnen. Mit Görings Ankunft, der 1935/36 neben dem kaiserlichen Jagdhaus seinen ausladenden "Reichsjägerhof" errichten ließ, erwachte das Areal wieder aus dem Dornröschenschlaf. Der Ausflugsverkehr nahm zu, ebenso die Pressepräsenz des Ortes "im Reich" -, vor allem aber wurde in Rominten zur Herbstsaison wieder Politik gemacht, die "Nebenaußenpolitik" des Luftwaffenchefs und Rüstungskoordinators Göring.

Für Uwe Neumärker und Volker Knopf war dies der springende Punkt, um sich in einer großzügig illustrierten Untersuchung dem von Wilhelm II. gestifteten, von Göring wiederbelebten Konnex von "Jagd und Politik in der Rominter Heide" zuzuwenden. Die Autoren verfahren dabei nach bewährtem, an Hitlers "Wolfsschanze", seiner Reichskanzlei oder Görings "Carinhall" schon erprobten Muster. Wieder soll Zeitgeschichte topographisch fixiert werden, soll sich der weltpolitische Makro- im halbprivaten Mikrokosmos spiegeln.

Ein Konzept, das nicht umzusetzen war. Denn Göring weilte zwar regelmäßig in Rominten, aber politisch Relevantes kam bei Jagdausflügen mit Ungarns Reichsverweser Horthy oder Großbritanniens Botschafter Henderson nicht heraus. Die politischen Bezüge der Autoren erscheinen nicht selten konstruiert. Die Verbindung etwa zwischen Rominten und der von ihnen mit zwei Bildern dokumentierten "Reichskristallnacht" in Königsberg stellt allein ihr Text her. Am 9./10. November 1938 hielt sich Göring gar nicht in Ostpreußen auf. Und schwerlich diente ihm Rominten während der Luftschlacht um England als "Gefechtstand". Der "Dicke" verließ im September 1940 vielmehr die Kanalküste, um sich über das abzeichnende Remis lieber aus sicherer Distanz von seinen Jagdgästen, den Flieger-Assen Mölders und Galland, rapportieren zu lassen. Während des Rußland-Feldzugs bezog der Reichsmarschall öfter Quartier im "Reichsjägerhof", doch Weltpolitik wurde fünfzig Kilometer weiter südlich gemacht, im "Führerhauptquartier" bei Rastenburg.

Einzig im "Fall Bialowies" verzahnt sich die von Neumärker und Knopf gebotene grundsolide Rominter Heimatkunde, die zugleich ein wertvoller Beitrag zur Zeitgeschichte Ostpreußens ist, wirklich einmal unmittelbar mit dem Weltlauf. Görings Grünröcke Ulrich Scherping und Walter Frevert legten ihre Hand auf diese Rominten benachbarte Urwaldlandschaft, das einstige Jagdrevier polnischer Könige und russischer Zaren. In Görings Auftrag beteiligten Scherping und Frevert sich auch am "Evakuieren" und "Auskämmen" des riesigen Territoriums, bewegten sich in der Grauzone zwischen Partisanenbekämpfung und Völkermord. Noch im Juni 1944 meldete Frevert, ihm gehe es gut, er schieße "Partisanen am laufenden Band tot". Da stand das Ende Ostpreußens schon nahe bevor. Göring ließ den Reichsjägerhof vor dem Einrücken der Sowjets sprengen. Danach erschien er im Januar 1945 noch einmal in der Provinz, sich in den Flüchtlingsstrom mischend, ein Irrlicht, hier als Momentaufnahme überliefert, die dem Leser wohl lange im Gedächtnis bleibt.     

Der Band schließt mit einer Spurensuche im 1945 weitgehend zur russischen Exklave Kaliningrad geschlagenen Revier Rominter Heide. Überall die Tristesse überwachsener Ruinen, nicht einmal Fuchs und Has' haben mehr Lust, sich hier Gute Nacht zu sagen.

Uwe Neumärker, Volker Knopf: Görings Revier. Jagd und Politik in der Rominter Heide. Ch. Links Verlag, Berlin 2007, gebunden, 236 Seiten, Abbildungen, 29,95 Euro

Fotos: Reichsjägermeister Hermann Göring im September 1942 mit dem gestreckten "Matador", dem geweihstärksten Hirsch in der ostpreußischen Rominter Heide: Weltpolitischer Makrokosmos; Ufa filmt Görings Waidmannsheil: ... im halbprivaten Mikrokosmos

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