© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Auf der Suche nach dem Motiv
Stollberg: Nach dem Mord an einem jungen Deutschen geht die Polizei nicht von rassistischen Beweggründen aus
Christian Rudolf

In Stolberg bei Aachen ist am vergangenen Freitagabend ein 19 Jahre alter Mann auf offener Straße durch Messerstiche tödlich verletzt worden. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Der mutmaßliche Täter konnte bereits am Tag danach festgenommen werden. Gegen ihn hat der Ermittlungsrichter am Aachener Amtsgericht Haftbefehl erlassen. Das Tatmotiv ist weiterhin unklar.

Brisanz erlangt die Tat durch den Umstand, daß der Ermordete zuvor die Jahreshauptversammlung des Aachener NPD-Kreisverbands besucht hatte, der seinen Sitz in Stolberg hat. Nach Ende der Veranstaltung verließ er die Gaststätte in Begleitung mehrerer Personen. Darunter soll nach Angaben des wiedergewählten Kreisvorsitzenden Willibert Kunkel auch ein NPD-Mitglied gewesen sein. Aus bisher unbekannter Ursache kam es gegen 23 Uhr zu einem Streit mit einer anderen Gruppe von fünf bis sechs Personen, in deren Verlauf der Täter "mehrere Messerstiche in Richtung des Oberkörpers" des 19jährigen ausführte, wie Oberstaatsanwalt Robert Deller gegenüber der JUNGEN FREIHEIT sagte. Einer davon war tödlich, wie die Obduktion ergab. Ob der Niedergestochene, der mit Vornamen Kevin heißt, zur Tatzeit ebenfalls bewaffnet war, konnte Deller nicht sagen. Der 18 Jahre alte Tatverdächtige ist in Stolberg geboren, aber staatenlos. Zu dessen Volkszugehörigkeit - in Presseberichten war zu lesen, die Eltern seien Libanesen - wollte der Oberstaatsanwalt keine Angaben machen: "Deutscher ist er nicht, sonst wäre er ja nicht staatenlos."

Er habe die Tat "weitestgehend eingestanden", so Deller weiter. Er betonte, daß weder politische noch rassistische Motive für die Tat eine Rolle spielten, sondern private und persönliche. Offensichtlich waren sich Täter und Opfer vorher schon begegnet, bereits vor dem Verbrechen sei es zu "Streß, wie die Jugendlichen sagen", zwischen beiden Gruppierungen gekommen.

Der NPD-Landesgeschäftsführer in Nordrhein-Westfalen, Claus Cremer, reklamierte für die Tat dagegen einen politischen Zusammenhang. Die Hetze gegen die NPD trage nun "mörderische Früchte". "Zwei junge Aktivisten" seien in der Stolberger Innenstadt "von einer Gruppe krimineller Ausländer" angegriffen worden. Die Bluttat sei "das schreckliche Ergebnis einer verfehlten Ausländerpolitik", hieß es in einer Mitteilung des Landesverbandes. Die NPD-Fraktion im Stolberger Stadtrat werde die "Auswüchse der Ausländerkriminalität" bestimmt aufgreifen.

Derweil nahm die NPD den tödlichen Messerangriff zum Anlaß für eine Mahnkundgebung. Nach Polizeiangaben nahmen rund 160 Personen, teilweise von außerhalb, teil, die unter der Losung "Multikulti ist Völkermord" durch die Innenstadt zogen. Mehrere Einsatzhundertschaften der Polizei begleiteten den Demonstrationszug zum Tatort, wo Parteimitglieder und Sympathisanten Blumen niederlegten und Kerzen entzündeten.

Ob der Tote allerdings einer der Ihren gewesen ist, läßt sich nicht zweifelsfrei feststellen. Die Eltern verwahrten sich offenbar durch Plakate am Tatort gegen eine Vereinnahmung ihres Kindes durch die NPD. "Hört auf, über unseren Sohn zu lügen", steht dort auf einem Anschlag. Auf dem rechtsgerichteten Internetnachrichtenportal Altermedia ist zu lesen, Kevin hätte sich beim Online-Netzwerk StudiVZ selbst als "rechts" bezeichnet. Bei der NPD scheint man sich nicht so sicher zu sein. Auf der Netzseite des Kreisverbands Düren wird der Kreisvorsitzende Ingo Haller zitiert: "Diese Veranstaltung hatte nichts damit zu tun, ob das Opfer ein Kamerad war oder nicht. Wir wollen darauf aufmerksam machen, daß ein deutscher Jugendlicher hinterhältig von sechs Migranten angegriffen wurde und durch vier Stiche im Oberkörper sein Leben ließ."

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