© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Ein Pulverfaß, das explodieren kann
USA: Schwarze und liberale weiße Amerikaner lieben Obama, die weiße Arbeiterschicht setzt eher auf McCain
Elliot Neaman

In den USA herrscht immer noch Rassentrennung - jedenfalls sonntagmorgens, wenn schwarze und weiße Amerikaner in ihre jeweilige Kirche gehen, wo sie unterschiedliche Lieder singen, unterschiedliche Psalmen lesen und sich Predigten anhören, die ihre unterschiedlichen Lebensumstände und Weltbilder reflektieren.

Anders als im zunehmend entchristlichten und säkularisierten Europa, wo die meisten Kirchen zu Touristenattraktionen verkommen - wenn sie nicht sogar umgewidmet oder abgerissen werden -, erfüllt Religion in den USA nach wie vor eine zentrale Rolle als Mittel der Kommunikation und des Zusammenhalts in einer ansonsten sehr mobilen, zwar dynamischen, aber auch fragmentierten Gesellschaft. Vor allem in ländlichen und suburbanen Gemeinden ist die Kirche der Marktplatz, auf dem Gerüchte ebenso ausgetauscht werden wie Meinungen zu politischen, wissenschaftlichen oder historischen Themen. Für die afroamerikanische Bevölkerung bedeutet die Kirche überdies seit jeher den einzigen Ort, an dem bereits ihre versklavten Vorfahren Herren über ihr eigenes Schicksal sein konnten: eine heilige Stätte, die sie mit einer einzigartigen Musik- und Erzählkultur und Tradition füllten.

Diese Segregation, die freilich nicht nur Schwarze und Weiße voneinander trennt - jede der über sechstausend protestantischen Konfessionen hat ihre eigenen Rituale, Doktrinen und Praktiken -, führt dazu, daß die Mitglieder einer Kirche wenig darüber wissen, was in den anderen vorgeht. Der mormonische Präsidentschaftsanwärter Mitt Romney scheiterte auch daran, daß den Wählern die Religion des Republikaners allzu befremdlich vorkam - dabei gibt es Mormonen in den USA schon seit über zweihundert Jahren.

Auch dem demokratischen Favoriten Barack Obama könnte die Gemengelage aus Politik und Religion zum Verhängnis werden, nachdem der frühere Pfarrer an der Trinity United Church of Christ (TUCC/www.tucc.org) in Chicago, wo er und seine Familie seit über zwanzig Jahren den Gottesdienst besuchen, wo seine Ehe gesegnet und seine Kinder getauft wurden, in die Schlagzeilen geriet: Jeremiah A. Wright jr. soll regelmäßig Hölle-und-Schwefel-Predigten über die Unterdrückung der Schwarzen durch den weißen Mann gehalten haben, in denen er Amerika als Reich des Bösen verteufelte, das überall auf der Welt andere Völker ausbeute.

Bislang hat sich Obama erfolgreich als Kandidat vermarkten können, der die Überwindung der Rassenfrage personifiziert - als Sohn einer weißen Mutter aus Kansas und eines Kenianers gelang ihm dies um so überzeugender. Seine Kindheit verbrachte er in Indonesien, seine Jugend auf Hawaii, seine Studienjahre auf von Weißen dominierten Eliteinstitutionen in Los Angeles und New York. Afroamerikaner mißtrauten ihm anfangs, weil er niemals in ihren Vierteln gelebt und ihre Erfahrungen mit Amerika am eigenen Leib durchgemacht hat. Mittlerweile findet seine Kandidatur jedoch breite Unterstützung in der afroamerikanischen Bevölkerung, und der Presserummel um Wright nötigte ihn zu einer Stellungnahme. Obama reagierte auf die wüsten Anschuldigungen, indem er am 17. März in Philadelphia eine der bewegendsten und eloquentesten Reden hielt, die Amerika seit den Zeiten von Martin Luther King vernommen hat.

Um die volle Tragweite seiner Worte zu verstehen, muß man wissen, daß in den 1960er Jahren in den USA eine "schwarze Befreiungstheologie" entstand. 1969 veröffentlichte der Theologe und Wright-Mentor James Hal Cone ein Buch mit dem Titel "Black Theology and Black Power", das die "Freiheitstheologie" in Nord- wie auch in Süd- und Mittelamerika stark beeinflussen sollte. Der Südstaatler Cone war ein Anhänger der von Karl Barth und Paul Tillich geprägten systematischen Theologie, die die christliche Lehre als existentialistische Konfrontation mit der menschlichen Erfahrung begreift. Entsprechend formulierte Cone eine Theologie auf der Grundlage der afroamerikanischen Geschichte - Sklaverei, Unterdrückung, Exil -, deren Hoffnung auf Erlösung in der notfalls auch gewalttätigen Auseinandersetzung mit den weißen Unterdrückern lag.

Heute ist der 69jährige Cone ein renommierter Professor am New Yorker Union Theological Seminary. Einige seiner Anhänger haben jedoch das befreiungstheologische Dogma zu einer Lehre des Hasses vereinfacht. Zu seinen Jüngern zählt auch Wright, der vor seiner Pensionierung 36 Jahre lang an der Chicagoer Trinity Church predigte. Gelegentlich ließ er sich dabei offenbar zu der apokalyptischen Rhetorik hinreißen, wie sie viele Kirchgänger von einer sonntäglichen Matinee erwarten. Obama betonte zu Recht, daß man diese Ausfälle nicht aus dem Zusammenhang reißen darf. Nach dem 11. September 2001 zum Beispiel geißelte Wright Amerika als Staat der Gewalt, der nur geerntet habe, was er säte.

Derartige Brandreden, deren Tonfall an den europäischen wie bodenständigen Anti-Amerikanismus von Noam Chomsky & Co. erinnert, sind natürlich gefundenes Fressen für Obamas Gegner. Immerhin entlehnte der Senator aus Illinois den Titel seines politischen Manifests "The Audacity to Hope" einer Wright-Predigt. Sollte es ihm tatsächlich gelingen, die einstige Favoritin Hillary Clinton im Rennen um die demokratische Präsidentschaftskandidatur zu besiegen, kann man sich darauf gefaßt machen, Ausschnitte von Wrights Predigten in den Wahlkampfspots seines republikanischen Rivalen John McCain zu sehen: Hier tapferer Kriegsheld, dort fragwürdiger Patriot. So blieb Obama nichts anderes übrig, als das Problem frontal anzugehen.

Seine Rede in Philadelphia war auch deswegen außergewöhnlich, weil sie aus Obamas eigenen Feder stammt: die sehr persönlichen Überlegungen eines Mannes, den die Rassenfrage in der amerikanischen Politik seit Jahren zutiefst beschäftigt - nicht umsonst lehrte Obama von 1993 bis 2004 Verfassungsrecht an der Universität von Chicago. Obama distanzierte sich von Wrights "falschen und sektiererischen" Vorstellungen, versuchte aber zugleich Verständnis zu wecken für dessen von Jahrzehnten der Segregation und Vorurteile, von Erniedrigung, Zorn und Furcht geprägte Generation.

Dann brach er eine weitere Narbe auf, indem er den Zorn der Weißen ansprach. Er bezog sich hier auf die konservative Kritik an affirmative action-Gesetzen zur Bevorzugung afroamerikanischer Bürger bei der Vergabe von Arbeits- oder Studienplätzen - um sogleich wiederum eine Linkskehre zu vollziehen: Schwarze wie weiße Amerikaner suchten die Schuld für ihre Probleme beim jeweils anderen, anstatt nach ihrer eigentlichen Ursache zu fragen, nämlich der Globalisierung und wirtschaftlichen Ungleichheit. Damit hatte er das Thema gewechselt - Klasse, nicht Rasse als Wurzel des Übels - und gleichzeitig den ursprünglichen Beweggrund für seine Kandidatur beschworen, die Heilung oder Überwindung der Rassentrennung.

Ob er mit einer so klangvollen wie mutigen Rede, der es aber dennoch in mancher Hinsicht an Deutlichkeit fehlte, sein "Rassenproblem" lösen kann, könnte sich schon bei den nächsten Vorwahlen am 22. April in Pennsylvania mit seiner großen Wählerschaft aus der weißen Arbeiterklasse zeigen. Bislang hat die Episode Obamas Umfragewerten weder im Rennen gegen Clinton noch in einem hypothetischen Finale gegen McCain geschadet. Aber es handelt sich um ein Pulverfaß, das jederzeit explodieren kann. Schwarze und liberale weiße Amerikaner, die an einem historischen Schuldkomplex leiden, lieben Obama. Die weiße Arbeiterschicht hingegen - ob Republikaner oder Demokraten - setzt lieber auf John McCain als auf einen unerfahrenen 46jährigen aus Chicago, dessen Hautfarbe, Persönlichkeit und politisches Profil sich einer eindeutigen Klassifizierung entziehen.

Sollte sich die schwarze Befreiungstheologie der 1960er als Obamas Stolperstein erweisen, dann hätte Amerika nach Jahren eines allmählichen, schwierigen Versöhnungsprozesses ein neues Rassenproblem. Einmal mehr würde sich das schwarze Amerika von der weißen Bevölkerung betrogen fühlen.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco. In der JF 11/08 schrieb er über die Bedeutung der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik für die US-Präsidentschaftswahlen.

Die "A More Perfect Union"-Rede von Barack Obama im Internet: www.my.barackobama.com/page/content/hisownwords/

Foto: Barack Obama: Hautfarbe, Persönlichkeit und politisches Profil lassen keine eindeutige Klassifizierung zu

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