© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

"Nur ein Verrückter wagt es, dieses Land zu regieren"
Italien: Ein dritter Wahlsieg Berlusconis scheint sicher, aber eine Wackel-Mehrheit im Senat könnte eine Große Koalition erzwingen
Paola Bernardi

Bisher glaubte man, daß die 62. italienische Wahl der Nachkriegszeit am 13. und 14. April ohne große Überraschung über die Bühne geht. Die vorherige linke Regierung unter Romano Prodi war nach nur 21 Monaten gestürzt worden. Auf der einen Seite tritt Oppositionsführer Silvio Berlusconi mit seiner erneuerten Mitte-Rechts-Bewegung Popolo della Libertà (Volk der Freiheiten/PdL) im Bündnis mit der rechten Bürgerbewegung Lega Nord von Umberto Bossi an.

Ihm gegenüber steht Walter Veltroni mit seiner postkommunistisch-linkskatholischen Sammelbewegung Demokratische Partei (PD) im Bündnis mit Antonio Di Pietros Anti-Korruptions-Partei Italia dei Valori (Italien der Werte). Laut Umfragen kommt Berlusconis PdL (Forza Italia plus Alleanza Nazionale/AN) auf 36 Prozent, die Lega Nord auf 7,3 Prozent. Diese 43,3 Prozent reichen, um zum vierten Mal seit 1994 eine Regierung unter Berlusconis Führung zu bilden, denn die siegreiche Wahlkoalition bekommt in der Abgeordnetenkammer automatisch mindestens 340 von insgesamt 630 Sitzen - selbst bei nur einer Stimme Vorsprung. Veltronis Mitte-Links-Block werden nur 38,5 Prozent zugetraut.

Doch je länger der Wahlkampf voranschreitet, desto mehr verdichten sich die Anzeichen auf eine wie auch immer geartete Große Koalition  zwischen den beiden großen Blöcken von rechts und links unter dem Stichwort "Veltrusconi". Denn die Herausforderungen für die nächste Regierung sind gewaltig. Nie waren Reformen notwendiger und eine Modernisierung des Landes zwingender. "Nur ein Verrückter wagt es, dieses Land zu regieren", sagte einmal Berlusconi. Doch selbst wenn keine Große Koalition zustande kommt, wird doch zumindest die Schaffung eines grundsätzlichen Konsens über die notwendigen Schritte erwartet. Denn im ebenso entscheidenden Senat dürften die Mehrheitsverhältnisse weniger klar werden, weil dort die "Siegprämie" nach regionalen Wahlergebnissen verteilt wird. Ebendieser Zustand war es, der die Regierung Prodi lahmlegte und dann zu Fall brachte.

Das Wahlrecht könnte nun die neue Vier-Parteien-Koalition La Sinistra - L'Arcobaleno aus Kommunisten und Grünen begünstigen. Der Regenbogenlinken unter dem scheidenden altkommunistischen Kammerpräsidenten Fausto Bertinotti werden 7,5 Prozent prognostiziert. Den Berlusconi-abtrünnigen wertkonservativen Christdemokraten (UCD) unter Pier Ferdinando Casini werden immerhin 5,7 Prozent zugetraut. Die neue Rechtspartei La Destra unter der Ex-AN-Politikerin Daniela Santanchè (JF-Interview 7/07) soll 2,2 Prozent bekommen - beides Stimmen, die Berlusconi fehlen könnten.

Nur so ist die Tatsache zu verstehen, daß gegen alle Erwartungen dieser nun zu Ende gehende Wahlkampf im Lande nicht von einer extremen Popularisierung geprägt war. "Seltsame Wahlen - ohne Kampfgeist", lautete die passende Überschrift in einem Leitartikel des Mailänder Corriere della Sera.

Während es sich beim aktuellen Streit um den Neudruck von Stimmzetteln um die übliche Wahlkampfbegleitmusik handelt, wiegt das Thema Alitalia schwerer, betrifft es doch das ganze Land. Prodi hatte gemeinsam mit seinem Wirtschaftsminister Tommaso Padoa-Schioppa den Verkauf der hochverschuldeten italienischen Luftfahrtgesellschaft an die Air-France-KLM-Gruppe eingefädelt. Die Verhandlungen zogen sich über ein Jahr hin. Doch dann trat Berlusconi auf den Plan und erhob den Alitalia-Verkauf an die Franzosen zum großen Wahlkampfthema. Er lehnte nicht nur den Verkauf generell ab, sondern beharrte darauf, daß es italienische Kaufinteressen gebe, unter anderem seien auch seine Kinder darunter, denen er sein Medien-Imperium überschrieben hat.

Wie meistens reagierte Berlusconi instinktsicher - er gibt sich als Verfechter der nationalen Interessen. Denn mit dem Verkauf wäre auch die Degradierung des Mailänder Flughafens Malpensa einhergegangen. Doch vorige Woche haben die Franzosen nach langem Poker aufgegeben. Jetzt schlägt auch für Berlusconi die Stunde der Wahrheit: Wird er Alitalia und gleichzeitig Malpensa retten, nachdem Mailand nun auch den Zuschlag für die Weltausstellung 2015 erhalten hat?

Für Berlusconi steht viel auf dem Spiel. Während der 71jährige Ex-Premier keine Gelegenheit ausläßt, sich zu profilieren, gibt sich der linke Spitzenkandidat, der 52jährige Veltroni mit seiner PD, ganz zahm. "Wo bleibt der Biß", fragen sich Leitartikler, wenn sie den Wahlkampf des früheren Bürgermeisters von Rom analysieren.

Aber Veltroni scheint wie aus Teflon, er verspricht in seinem Zwölf-Punkte-Programm nur Gutes: etwa die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 1.000 Euro für Jugendliche und 600 Euro für jede arme Familie. Andererseits kandidieren auf den PD-Wahllisten Unternehmer wie der 37jährige Matteo Colaninno, Vizepräsident des Motorrollerproduzenten Piaggio, sowie die aus Venetien stammenden Industriellen Massimo Calearo und Andrea Riello. Veltroni will sich im Vergleich zu seinem Rivalen als "jung" präsentieren.

Doch seine politischen Gegner erinnern daran, daß der "Apparatschik" Veltroni schon vor 35 Jahren bei den Kommunisten (PCI) anfing und in den neunziger Jahren bereits einmal Vizepremier unter Prodi und dann Generalsekretär der postkommunistischen DS gewesen ist. Berlusconi betrat hingegen erst in den neunziger Jahren mit seiner "Forza Italia" die politische Bühne.

Fotos: Berlusconi-Wahlwerbung im Internet: Der Ex-Premier gibt sich als Verfechter nationaler Interessen; Walter Veltroni: "Ohne Biß" www.oeaw.ac.at

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