© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

"Das Know-how bleibt bei uns in Süßen"
Mittelständler im Gespräch: Willy Schwenger von der Carl Stahl GmbH über seine weltweiten Aktivitäten
Wolfhard H.A. Schmid

Im Jahr 1965 verzichtete der Textilingenieur Willy Schwenger auf seine Karriere in einem Textilkonzern und übernahm mit seiner Ehefrau die kleine Seilerei seines Schwiegervaters Carl Stahl im württembergischen Süßen. Aus den bescheidenen Anfängen entstand in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein mittelständischer Familienkonzern mit 50 Niederlassungen im In- und Ausland. Heute wird die Carl Stahl GmbH von dem inzwischen 72jährigen, seiner Frau, dem Sohn und Schwiegersohn und einem angestellten Geschäftsführer geleitet. 2006 wurde Willy Schwenger für sein Lebenswerk mit der Wirtschaftsmedaille des Landes Baden-Württemberg geehrt.

Herr Schwenger, bei einem renommierten Adreßverlag werden Sie als eines der zehn ältesten deutschen Unternehmen der Metallverarbeitung aufgeführt, dessen Wurzeln auf das Jahr 1642 zurückgehen.

Schwenger: Die Angabe kommt wahrscheinlich daher, weil wir vor Jahren diesen Betrieb in München übernommen haben. Wir sind zwar auch schon 128 Jahre alt, aber so alt noch nicht.

Heutzutage ist der Schwerpunkt Ihrer Produkte in der Seil- und Hebetechnik zu finden, war das schon immer so?

Schwenger: Als ich 1965 mit meiner Frau das Unternehmen übernommen habe, war ich der sechste Mitarbeiter. Damals stellten wir als Handwerksbetrieb Seile aus Hanf, Sisal oder Jute vorzugsweise für die regionale Landwirtschaft her. Als diese aber immer mehr einbrach und auf neue Maschinen umstellte und sich bei Seilen der Stahldraht durchsetzte, mußten wir uns umstellen.

Wie groß ist Ihr Umsatz und Ihre Belegschaft insgesamt?

Schwenger: Wir sind seit 20 Jahren im Ausland aktiv und haben 2007 weltweit mit etwa 1.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 200 Millionen Euro erzielt, wobei Auslandsumsatz inzwischen fast die Hälfte ausmacht. Um dies zu verdeutlichen: In Deutschland betrug der Umsatzzuwachs 2007 gegenüber dem Vorjahr elf Prozent, im Ausland 18,5 Prozent. Dies unterstreicht die Bedeutung unserer Position im Ausland.

Warum gibt es bei dieser Größenordnung noch keine Carl Stahl AG?

Schwenger: Wir haben eine hohe Eigenkapitalbasis von über 50 Prozent, weil wir von Anfang an alle Gewinne in das Unternehmen investiert haben. Allein schon deshalb wollen wir ein Familienunternehmen bleiben.

Sie haben Niederlassungen in großen Ländern wie Brasilien und den USA, seit drei Jahren auch zwei in China. Haben Sie keine Angst vor einem Wissensdiebstahl wie andere Mittelständler?

Schwenger: Auch ich kenne persönlich einen Unternehmer aus Bayern, der davon betroffen war. Wir produzieren deshalb dort auch nur einfache Produkte. Das Know-how bleibt bei uns in Süßen.

Wie hoch ist Ihre Fertigungstiefe? Produzieren Sie auch in weiteren Ländern?

Schwenger: Unsere Fertigungstiefe ist hoch. Wir stellen allerdings keinen eigenen Draht her, den kaufen wir zu. Bestimmte Seile beziehen wir aber auch aus dem Ausland. Unser Fertigungsschwerpunkt ist das Löten, Verseilen und Konfektionieren, kurz all das, wo unser langjähriges Wissen zum Tragen kommt.

Auch Länder wie Rußland oder die arabische Welt bieten wirtschaftliche Chancen. Entwickeln Sie dort - trotz der politischen Probleme - ebenfalls Initiativen?

Schwenger: Wie in Osteuropa sind wir in Rußland und der Ukraine noch zurückhaltend und wollen erst einmal die dortige Entwicklung abwarten. In Indien haben wir allerdings mit einem Unternehmen ein "Joint Venture".

Sind die neuen Mächte Indien, Rußland und die Ukraine mit ihrem Einfluß auf den Stahlpreis und die weltweit hohen Energiepreise ein Problem für Sie?

Schwenger: Das hat wegen unserer hohen Fertigungstiefe für uns nur geringe Reflexion. Unsere Edelstahldrähte kommen aus Indien und Südkorea - dem größtem Drahthersteller der Welt.

Man erlebt oft, daß Traditionsfirmen wegen ihres Erfolges in der Vergangenheit versäumen, die Weichen für notwendige Innovationen zu stellen. Haben Sie schon ähnliche Erfahrungen machen müssen?

Schwenger: Wir haben sehr früh lernen müssen, daß ganze Abnehmerkreise wegbrechen. So waren früher in der Landwirtschaft Seile  für Millionen von Garben notwendig. Wo sieht man heute noch Getreide- oder Heugarben? Oder die Drahtseile für die Seilbagger in der Bauindustrie? Heute kann der Hydraulikbagger alles. Immer wieder mußten wir uns fragen, wo liegen noch Chancen für das Seil? Ich handle nach dem Leitsatz des Bayreuther Unternehmensberaters Josef Schmidt: "Kein Problem ist so groß, daß es auf Dauer dem Ansturm des Denkens widerstehen könnte."

Wie wurden Sie ein global operierendes mittelständisches Unternehmen?

Schwenger: Wir haben ganz neue Nischen gefunden. In der Industrie waren früher ganz wenig Seile in Verwendung. In der Automobilindustrie kommen heutzutage ganz feine Seile zur Anwendung. Den Architekten bietet das Seil viele Möglichkeiten für luftige und helle Gebäude, auch in der Innenarchitektur. Schauen Sie, dieser Gästestuhl in meinem Büro hat ein feines Stahlnetz als Unterlage für die Polsterung. Unsere Devise lautet bis heute: Für was und wo kann man noch Seile einsetzen? Darauf beruht langfristige Planung. Die neueste Kreation ist der Schmuck, auch aus Golddrähten. Meine Frau ist auf diesem Gebiet als Designerin aktiv. Bei allen Kunden werden wir für diese neue Idee bewundert, die auch unseren bisherigen Geschäften zugute kommt.

Viele Ökonomen fordern, daß sich der Staat völlig aus der Wirtschaft heraushält. Andererseits ist nun in der deutschen Politik ein Linkstrend zu beobachten. Was bedeuten solche Tendenzen für Sie?

Schwenger: Zwei wichtige Bereiche müssen dabei in Betracht gezogen werden: die durch die Steuergesetzte verursachten Schwierigkeiten in der Unternehmensnachfolge und der durch den Linksdruck verstärkte Staatseinfluß, der uns Unternehmern zusätzliche Kosten aufhalsen möchte.

Wie sehen Sie Ihre eigene und die Zukunft des weltweit aktiven deutschen Mittelstandes insgesamt?

Schwenger: Die Chancen sind nach wie vor groß. Eine wesentliche Voraussetzung ist aber ein Ausmisten in der Bürokratie. Das Risiko wird größer, wenn unternehmerische Ideen wegen der bei uns herrschenden Bürokratie nicht realisiert werden können. Ein Beispiel sind die langwierigen Verhandlungen, die für Baugenehmigungen erforderlich sind.

Mit einem Anteil von 60 Prozent am Bruttosozialprodukt ist die mittelständische Wirtschaft der bedeutendste Wirtschaftsfaktor in Deutschland. Wegen ihrer heterogenen Struktur ist sie in der Öffentlichkeit unterrepräsentiert. Ist das ein Nachteil?

Schwenger: Ja, absolut! Der mittelständische Unternehmer kann das aus Zeitgründen nicht bewerkstelligen, und die Industrie- oder Handwerkskammern sind nicht in der Lage, unsere Interessen entsprechend zu vertreten, wie dies bei der Großindustrie der  Fall ist.

Welchen Einfluß haben die Entwicklungen in der Bundes- und Europapolitik sowie die Globalisierung auf Ihre Firma?

Schwenger: Ich bin an den europäischen Aktivitäten sehr stark interessiert und dafür, daß Europa harmonisiert wird - aber nicht auf einem so hohen Steuerniveau wie bei uns. Österreich hat etwa viel geringere Lohnnebenkosten. Eine Harmonisierung muß deshalb auf niederstem Abgabenniveau kommen, sonst funktioniert das Ganze nicht.

Welche spezielle Aufgaben haben Sie sich für die nächste Zeit gestellt?

Schwenger: Ich bin jetzt 72, und die wichtigste Aufgabe sehe ich darin, das Unternehmen in geordneten Bahnen in die nächste Generation zu führen und meine Erfahrung als Unternehmer an diese Generation weiterzugeben. Dazu zwei weitere große Bereiche, unsere Fachseminare für Kunden konsequent weiterzuentwickeln. Wir haben etwa mit unseren Unfallverhütungsseminaren dazu beigetragen, daß die Unfälle enorm gesenkt werden konnten. Dazu werden wir die Seminare mit dem Schmidt-Colleg für Führungskräfte der Wirtschaft konsequent weiter ausbauen.

Teile der Wirtschaft klagen über Fachkräftemangel, ihre Verbände fordern, die Einwanderung zu erleichtern. Wie sehen Sie die Problematik?

Schwenger: In Zukunft müssen auch wir hochqualifizierte Mitarbeiter aus dem Ausland integrieren. Mit ausländischen Ingenieuren haben wir bisher gute Erfahrungen machen können.

Foto: Der Arabische Turm, das Wahrzeichen von Dubai/Vereinigte Arabische Emirate: "Kein Problem ist so groß, daß es auf Dauer dem Ansturm des Denkens widerstehen könnte"

 

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