© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Zeitschriftenkritik: Literaturen
Carl Schmitt: Mann der Stunde
Jan Löhr

Nazi-Jurist und Terror-Denker". Das war wohl das mindeste für Literaturen, das Journal für Bücher und Themen, um frisch Gepreßtes in Sachen Carl Schmitt auszuschreien. Angesichts dessen aber, was Studenten in die Schmitt-Werke der Seminarbibliotheken an Marginalinjurien hineinschmieren, muß man Sigrid Löfflers Postille sogar noch Zurückhaltung bescheinigen. Erstaunlich genug ist ja ohnehin, daß ein linksliberales Zeitgeistecho seine teuren Hochglanzspalten samt Titelseite freiräumt, um Leben und Schaffen des bestgehaßten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts zum Themenschwerpunkt zu küren. 

Mit dieser Zurückhaltung ist es indes rasch vorbei, wenn Micha Brumliks Leitrezension die druckfrische Schmitt-Biographie Christian Lindners preist, die ihm "eine ganze Bibliothek" an CS-Literatur ersetzt. Lindner verdient sich das Lob des weder rechts- noch zeitgeschichtlich kompetenten Frankfurter Volkspädagogen, weil er uns den "Vordenker der Vernichtung" (Friedrich Balke) als "christlichen Nihilisten" präsentiert. Nihilist ist offenbar schlimmer als "Nazi" oder "Judenhasser" - zumal das Christliche bei CS nur Beiwerk sei. Lindner bestätigt somit, was Brumlik von jeher zu wissen glaubte. In Schmitts "ganzer Existenz waltet das Nichts, ein Nihilismus", der stets bereit sei, als "juristischer und politischer Dezisionismus alle christlich-humanistischen Ideen entschlossen über Bord zu werfen".

Darüber läßt sich diskutieren. Denn es steckt wohl in diesem Nihilismus weitaus mehr Potenz, um Real-Politisches im Weltbürgerkriegsäon zu analysieren, als im verschwiemelt-provinziellen Universalismus der "Menschenwürde", dem ausgerechnet ein tendenzieller Zionist wie Brumlik nachhängt. Anders wäre auch unerklärlich, warum Schmitt, wie Brumlik erbittert einräumt, "der Mann der Stunde" ist. Und warum niemand so häufig zitiert werde, in London, Peking, Moskau, Jerusalem - und "vor allem dort", in Washington. Denn die USA trieben seit langem "reinste Carl-Schmitt-Politik". Und hierzulande kopiere man dies jetzt. Es schwelle der Juristenchor an, der unter Berufung auf die "terroristische Bedrohung" die "universalistische Schutzpflicht des Grundgesetzes zugunsten aller Menschen" aufweiche. Aber wer als Zionist und Multikulturalist agitiert und sich dabei wie Brumlik penetrant auf "alle Menschen" beruft, über den wissen wir ja dank des großen Realisten Carl Schmitt auch schon Bescheid: "Wer Menschheit sagt, will betrügen."

Weniger ideologisch konditioniert, schließt der habilitierte Philosoph Friedrich Balke an Brumliks Tirade an. Auch er muß Schmitts hohe Aktualität konzedieren, markiert sie allerdings an Überlegungen von dessen Meisterschüler Ernst Forsthoff. Bemerkenswert nur, wie dessen im Briefwechsel mit Carl Schmitt (JF-Rezension 2/08) ausgebreitete Reflexionen über Staat, Macht und Politik Balke erstaunen. Obwohl nicht so stark dem illusionären Universalismus verfallen wie Brumlik, gewöhnt sich bundesdeutscher Politologennachwuchs eben nur widerstrebend an Schmittschen Realismus.

Literaturen. Das Journal für Bücher und Themen. Friedrich Berlin Verlag, Reinhardstr. 29, 10117 Berlin, Internet: www.literaturen de. Das Einzelheft kostet 9,50 Euro, das Jahresabo 99 Euro (ermäßigt 79 Euro).

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