© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/08 18. April 2008

Kolumne
Knüppel aus dem Sack
Klaus Hornung

Geht es nach der Bundesregierung und den Wirtschaftsmagazinen, befindet Deutschland sich auf dem Weg zurück zum Wohlstand der siebziger Jahre. Doch der Wohlfahrtsstaat ist Geschichte geworden, mögen die Deutschen sich noch so sehr nach ihm zurücksehnen und die Gleichheit der Freiheit vorziehen. Sie haben seit der Zeit der sozial-liberalen Koalition selbst zu seinem Ruin beigetragen, als sie die "Milchkuh" (Arnold Gehlen) der sozialen Marktwirtschaft systematisch überforderten, auch die Ära Kohl hat daran nichts geändert, die "geistig-moralische Erneuerung" blieb Sonntagsrede. Das Ergebnis ist zu besichtigen:

1,5 Billionen Euro öffentliche Schulden, die Pro-Kopf-Verschuldung betrug zum 1. April 18.146 Euro. An ihr sind die Milliarden für den "Aufbau Ost" und alle die deutschen Spendierhosen über Jahrzehnte hin (EU, Uno, "Entwicklungshilfe") beteiligt. "Der Staat des Tischleindeckdich wird allzu leicht zum Staat des Knüppel-aus-dem-Sack", warnte einst Bundespräsident Heinrich Lübke. Am Verteilerstaat mästete sich eine gewaltige Bürokratie und die deutsche Vorschriftenorgie. Nicht zuletzt wurden die Parteien zu Promotoren und Nutznießern des Verteilerstaates. Und der Geist der Selbstbedienung hat längst auch auf das Führungspersonal der Wirtschaft übergegriffen. Das alles konnte man schon seit den achtziger Jahren wissen. Aber erst mit Zeitzündung begann das Vertrauen in das Personal der Politik und der Wirtschaft dahinzuschmelzen. Der Mitgliederschwund der Parteien und der Wählerschwund sprechen Bände. Die Politische Klasse versucht seit Jahren durch ihr Bündnis mit den Kommandohöhen der Medien gegenzusteuern und die umfassende und gründliche öffentliche Debatte, den "herrschaftsfreien Diskurs" (Jürgen Habermas) abzublocken. Diese eingeschnürte Debatte im Zeichen geistiger Unfreiheit, von Vergangenheitsbewältigung und Political Correctness ist die Kehrseite der Medaille der wachsenden Entfremdung zwischen den Funktionseliten und den Menschen, zwischen pays légal und pays réel. Allenthalben mehren sich die Zeichen eines historischen Aktschlusses und der Notwendigkeit eines Neuanfangs, der 1990 mit der Wiedervereinigung so gröblich versäumt wurde.

2009 gehen 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland zu Ende. Das "Jubiläum" sollte im Zeichen neuer Ideenfreiheit und eines politischen Realismus stehen, der die wahre Lage unseres Gemeinwesens und seine Zukunftsperspektiven tabufrei erkennt und öffentlich erörtert.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim.

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